FOOD CRASH
20. Jahrhunderts hat man deshalb die Schornsteine vieler Fabriken der Schwerindustrie immer höher gebaut, um eine bessere Verdünnung und eine weiträumigere Verteilung der Schadstoffe zu erreichen. Die massive Schädigung der Nachbarn war damit behoben – dafür wurden ab Mitte der 70er Jahre neuartige Waldschäden beobachtet, die sich so dramatisch entwickelten, dass man ein Waldsterben befürchten musste.
Betriebswirtschaftlich hatten die Industrieunternehmen alles richtig gemacht. Sie waren Kosten aus dem Weg gegangen, die sich durch Schädigungen in zuordenbarer Nähe ergeben hätten. Der Markt, auf dem Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen, konnte das Problem des Waldsterbens offenbar nicht regeln. Ganz im Gegenteil: Hätte eines der Unternehmen beschlossen, seine Schornsteine mit teuren Filtern auszustatten, während seine Konkurrenten munter weiter Schwefel und Schlimmeres in die Atmosphäre pusten, wäre es durch den Markt abgestraft worden. Denn schließlich hätte es ja die Preise seiner Produkte um die Kosten der Filteranlagen erhöhen müssen. Anders ausgedrückt: Weil das
Allgemeingut
Luftreinheit nichts kostet, muss hier von einem
Marktversagen
gesprochen werden. Denn der Markt belohnt nicht den Schutz des Allgemeingutes, sondern dessen Schädigung.
Erst als in den 80er Jahren der Staat durch gesetzliche Auflagen die Unternehmen zwang, ihre Schadstoffe durch entsprechende Vorrichtungen in der Fabrik zu behalten, kam es zu einer deutlichen Verringerung der Schadstoffbelastung und des aus ihr herrührenden »sauren Regens«.
Ein weiteres Beispiel soll uns näher an unser eigentliches Thema heranführen: Als ich Schüler war – in den 60er Jahren –, gab es einen Inbegriff von Luxus: Krabbencocktail. James Bond aß Krabbencocktail in Gegenwart sich räkelnder russischer Agentinnen am Pool. James Bond – und mein Freund und Vetter Johannes, der zu seinem Geburtstag Geld von den Eltern ins Internat geschickt bekommen hatte. Er saß mit seinen Freunden um ein Glas Krabbencocktail im Domhotel, während wir einen Tisch weiter zu dritt um ein Glas Coca-Cola mit drei Strohhalmen hockten und schrecklich neidisch waren. So etwas brennt sich ins Gedächtnis. Ein halbes Jahrhundert später gehören die Krustentiere, die etwas größer sind und jetzt Shrimps heißen, zur Normalausstattung der Jahresfeier jedes Sportvereins. James Bond würde sich schämen, mit einem Glas voll davon gefilmt zu werden. Was ist da passiert? Shrimps sind billiger geworden, eindeutig. Aber kosten sie deshalb tatsächlich weniger?
Um das zu erfahren, muss man nach Ecuador fahren. Kein Land, außer vielleicht noch Vietnam, exportiert so viele dieser Tiere wie das Land am Äquator. Kilometerweit reihen sich an seiner Pazifikküste Becken, in denen sie gezüchtet werden – Shrimpsfarmen eben. Die Produktion ist ebenso perfekt durchorganisiert wie Ernte, Verpackung, Kühlung und Transport. Wenn sie bei uns tiefgefroren im Supermarkt liegen, zahlt man für ein Pfund so etwa 6 bis 10 Euro, bereits ohne Schale – man muss sie nur noch in Knoblauchöl dünsten. Der Preis ist ungefähr das, was mir der Fliesenleger für zehn Minuten Zigarettenpause berechnet. Weil ich sehr gerne Shrimps in Weißweinsauce esse, wäre das eine gute Nachricht – wenn dieser Preis den tatsächlichen Kosten entsprechen würde.
Tut er aber nicht: Um die Teiche anzulegen, werden Mangrovenwälder abgeholzt. Das ist ein Bestand aus Bäumen, die salztolerant sind und die in den von Ebbe und Flut bestimmten Randbereichen tropischer Küsten wurzeln. Sie bilden den Lebensraum für eine Vielzahl von Tieren und Pflanzen und insbesondere die Kinderstube vieler Fischarten, die für die Fischerei von Bedeutung sind. Darüber hinaus schützen sie die Küsten vor den Angriffen des Meeres – wo sie fehlen, haben Tsunamis eine viel fürchterlichere Wirkung als dort, wo sie deren Wucht abbremsen können. Keine dieser ökologischen Leistungen können die Shrimpsbecken erfüllen, und doch zahlt niemand für die dadurch entstandenen Kosten an der Ladenkasse in Bergen-Enkheim.
Um 1 kg Shrimps zu erzeugen, braucht es ca. 2,5 kg Futter. Davon besteht ein Viertel aus Fischen, also ca. 600 g. Diese 600 g (getrocknetes) Fischfutter dürften 3 kg frischem Fisch entsprechen. Um also 1 kg Shrimps ernten zu können, muss man zuvor 3 kg Fisch fangen, und das geschieht in der Regel mit Schleppnetzfischerei – also jener Methode, deren zerstörerische Wirkung ich
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