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Forellenquintett

Titel: Forellenquintett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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und ging auch nicht besonders langsam. An der Tür wartete er einen Augenblick, dann zog er sie auf. Vor ihm stand Schatte, den Hut in der linken Hand, den Kopf leicht gesenkt und mit einem Gesichtsausdruck, als sei es ihm gleichgültig, ob geöffnet werde oder nicht.
    Im gleichen Augenblick fuhr eine schwarze Limousine an, der Fahrer schien gewartet zu haben, ob Schatte hereingebeten würde. Oerlinghoff vermied es, dem Wagen nachzusehen.
    »Treten Sie ein«, sagte er.
    Schatte deutete wortlos eine Verbeugung an und folgte der Einladung. An der Garderobe ließ er sich aus dem schwarzen Mantel helfen. Wie immer war seine rechte Hand mit Handschuh und Manschette geschützt.
    »Ein Vorfahr von Ihnen?«, fragte er, als sie an dem Portrait eines bartlosen jungen Mannes vorbeikamen, der eine Uniformjacke mit hohem Kragen trug und dessen Haare ihm frühromantisch in die Stirn fielen.
    »Friedrich Rupert von Oerlinghoff«, antwortete Oerlinghoff, »Batterie-Kommandant bei Chateau-Thierry, Februar 1814.«
    »Süß und ehrenvoll, wie?«
    »Nein«, antwortete Oerlinghoff, »Typhus.«
    Sie betraten den Wohnraum, hinter dessen unverhängten Sprossenfenstern man den nachtschwarzen See ahnte.
    Oerlinghoff wies einladend auf eine Sitzgruppe und ging zu der Bar, die in ein unauffälliges Möbelstück aus Kirschbaumholz eingebaut war. »Was darf ich Ihnen anbieten?«
    Schatte bat um ein Glas Wasser, Oerlinghoff schenkte aus einer Karaffe zwei Gläser voll und brachte sie zu dem Glastisch, der vor der Sitzgruppe stand.
    Schatte sah ihm entgegen. Er hat ein bäuerliches Gesicht, dachte Oerlinghoff, flächig, zerklüftet: So können auch ehrliche Leute aussehen. Nur die Augen oder genauer: dieses kalte Blau darin!
    Oerlinghoff setzte sich, für einen Augenblick herrschte Schweigen.
    »Wer beim Schach«, sagte Schatte in die Stille, »den ersten Zug macht, befindet sich in einem gewissen, wenn auch sehr befristeten Vorteil. Bei Gesprächen ist das anders, nicht wahr?«
    »Aber jetzt haben doch Sie eröffnet?«
    »Weil ich Ihr Gast bin und weil unser beider Zeit knapp ist«, antwortete Schatte. »Was können Sie mir zu den Vorgängen der letzten Nacht sagen?«
    »Sie werden die Nachrichten gehört haben. Darüber hinaus gibt es nicht viel Neues. Frau Wegenast und die Polizistin, die ihr behilflich gewesen ist, befinden sich weiter auf der Flucht. Obwohl dies eigentlich einem Schuldeingeständnis gleichkommt, hat mein Hauptkommissar Walliser offenbar Zweifel, was die Täterschaft im Fall Orschach betrifft.« Er griff in seine Jackentasche und holte ein Ledermäppchen mit einem Bund Fahrzeugschlüssel heraus. »Zu den vielen unbrauchbaren Hinweisen gehört das da … Falls Sie wissen, wer der Eigentümer des dazugehörigen Wagens ist, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie die Schlüssel weiterleiten würden.«
    Schatte beugte sich vor, warf einen argwöhnischen Blick auf den Schlüsselbund, steckte ihn dann aber ein.
    »Danke«, sagte er. »Aber was soll das für eine Legende sein, die Ihr Kommissar da stricken will?«
    »Ich weiß es wirklich nicht«, sagte Oerlinghoff. »Nun hat dieser Kevin Orschach offenbar das Weite gesucht, als es in der Nacht ernst wurde. Theoretisch könnte ich mir durchaus vorstellen, dass er wegen Feigheit vor dem Feind liquidiert wurde.«
    »Unsinn«, antwortete Schatte. »Ohne dass ich mich darüber näher äußern will, können Sie davon ausgehen, dass ich darüber Bescheid wüsste, wenn es so gewesen wäre...«
    Er unterbrach sich, weil Oerlinghoffs Mobiltelefon zu klingeln begonnen hatte. Der Polizeidirektor bat um Entschuldigung und meldete sich. Der Anrufer war Waldner II, einer der beiden Beamten, die den Objektschutz für das Anwesen Oerlinghoff übernommen hatten.
    »… wir haben hier einen auffälligen Wagen, einen Daimler, älteres Baujahr, Frankfurter Kennzeichen …«
    »Und was ist mit ihm?«
    »Der fährt hier rum und immer wieder an Ihrem Haus vorbei.«
    Oerlinghoff ließ das Mobiltelefon sinken und wandte sich an Schatte: »Ihr Wagen ist in Frankfurt zugelassen?«
    »Nein.«
    Der Polizeidirektor zuckte mit den Achseln und nahm das Telefon wieder auf. »Lassen Sie den Wagen überprüfen, und geben Sie mir Bescheid...« Dann legte er das Telefon zur Seite. »Meine Beamten sind offenbar etwas nervös geworden.«
    »Ich bin eigentlich nicht hier, um den Nervenzustand der örtlichen Polizei zu erörtern«, erwiderte Schatte. »Was mich mehr interessiert: Welche Beweise haben Sie gegen die

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