Forgotten
inzwischen die Decke und die Kühlbox von den Sitzen geräumt und die Kissen gegen den Sitz gelehnt hat, damit ich es im Rücken schön weich habe. Aus einem verborgenen Fach holt er eine Fernbedienung hervor.
»Ups«, sagt er, steht auf und kriecht nach vorne. Er schaltet die Zündung wieder an, verstellt etwas an der Heizung und dreht noch an irgendwelchen anderen Knöpfen, dann kehrt er zu unserem Platz zurück. Erst als der Bildschirm aufleuchtet, bemerke ich den kleinen einklappbaren Fernseher in der Decke. Eine Copyright-Warnung erhellt das Wageninnere, und Luke zieht eine noch heiße Pizza aus dem Wärmemantel (den er sich angeblich »ausgeliehen« hat), holt Pappteller und Servietten aus der Plastiktüte und angelt zwei Coladosen aus der Kühlbox.
Ich erkenne den Film an den ersten fünf Noten der Titelmusik. Den Einleitungstext von Star Wars kenne ich so gut wie auswendig, weil ich ihn noch mindestens fünfmal sehen werde. Während dieser über den winzigen Schirm läuft, rutschte ich auf unserer improvisierten Couch mitten im Nirgendwo ein Stück näher an Luke Henry heran. Viele Jahre lang werde ich nicht mehr so glücklich sein wie jetzt in diesem Moment.
»Ich liebe den Film«, flüstere ich.
»Ja«, sagt er, ohne sich vom Bildschirm abzuwenden.
»Ja, was?«
»Ja, das habe ich gehofft.« Luke sieht mich an, als könnte er bis in meine Seele schauen, und auf einmal fühle ich mich ganz nackt. Um den Bann zu brechen, angle ich mir ein Stück Pizza aus der Pappschachtel zu unseren Füßen. Luke folgt meinem Beispiel, und schon bald haben wir alles aufgegessen.
Satt, zufrieden und schweigend schauen wir uns den Film an. Nach ungefähr der Hälfte ziehe ich die Decke über meine Beine. Luke bekommt eine SMS , liest sie aber nicht, sondern stellt sein Handy auf lautlos und wirft es auf den Vordersitz. Dann legt er mir den Arm um die Schultern, und wir kuscheln uns aneinander, als würden wir uns schon ewig kennen.
Als der Film zu Ende ist, klettert Luke nach vorn. Er sagt, es wäre besser, die Zündung eine Zeitlang abzustellen, um die Batterie zu schonen.
»Ich will nicht, dass wir nachher hier festsitzen.«
»Würde mir nichts ausmachen«, lautet meine Antwort.
»Mir auch nicht, aber deiner Mom wahrscheinlich schon.«
Statt sich wieder neben mich zu setzen, öffnet er das Verdeck des Dachfensters und bittet mich, ihm die Kissen zu geben. Er legt sie hinter den Vordersitzen auf den Boden und streckt sich lang aus.
»Komm«, sagt er, aber es ist eher eine Frage als eine Aufforderung. Es ist schnell kühl geworden im Wagen, also nehme ich die Decke mit, als ich nach vorne krieche und mich neben Luke lege. Wir decken uns zu und klemmen die Kanten der Decke unter uns fest, damit die Wärme nicht verloren geht.
Durch das Panoramafenster im Dach blicken Luke und ich direkt in den Herbsthimmel, der übersät ist mit Sternen. Ich zittere ein bisschen, aber das hat nichts mit der Kälte zu tun. Luke rutscht näher und tastet unter der Decke nach meiner Hand.
»Fühlt sich gut an«, sagt er leise.
»Ja«, hauche ich.
»Als würden wir uns schon eine ganze Weile kennen, findest du nicht?«, fragt er.
»M-hm«, murmle ich und drücke mich ganz eng an seine warme Schulter.
»Soll ich dir meine Theorie verraten?«, fragt Luke und dreht sich vorsichtig auf die Seite, damit wir uns ansehen können. Seine Augen blitzen verschwörerisch, als wäre er im Begriff, ein großes Geheimnis preiszugeben.
»Ja, bitte«, sage ich. Ich liege immer noch auf dem Rücken, aber mein Gesicht ist ihm zugewandt. Die Sterne sind für den Augenblick vergessen.
»Reinkarnation.«
»Reinkarnation?«
»Ja. Du weißt schon – Wiedergeburt«, sagt er.
»Natürlich weiß ich, was Reinkarnation ist, ich bin ja nicht blöd. Aber was hat das mit uns zu tun?«
»Also, meine Theorie ist, dass wir in einem früheren Leben verheiratet waren. Vielleicht war ich ein mächtiger König, und du warst meine Königin, und wir wurden vom aufgebrachten Pöbel gelyncht.«
»Was haben wir denn angestellt, dass uns ein aufgebrachter Pöbel gelyncht hat?«, necke ich ihn.
Luke lacht. »Stimmt, du hast recht, vergessen wir das. Vielleicht waren wir zwei ganz normale Leute, die irgendwann irgendwo gelebt haben. Ganz woanders.«
» Wann anders.«
»Das ist gar kein richtiges Wort«, tadelt er mich sanft.
»Jetzt schon. Erzähl weiter.«
»Also gut, damals – wannanders – waren wir verheiratet. Wir sind gestorben, woran auch immer man
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