Fortunas Odyssee (German Edition)
mit geöffneten Türen und aßen die Früchte, während sich die Frauen über Hüte und Schuhe unterhielten. Für Mama war es eine Form, sich selbst zu beruhigen: Alles klar, das Problem mit Greg ist gelöst.
Sie schlief die ganze Nacht tief und fest, im Gegensatz zu Papa.
Er wachte auf, nachdem er geträumt hatte, er sei zum Fenster hinausgeflogen, während alle anderen schliefen. Er sah unser Haus von oben und flog bis zum höchsten Berg. Madrigal lag vollkommen im Dunkeln und in einer angenehmen Ruhe. Nachdem er die ganze Stadt überflogen hatte, kehrte er durch das Fenster zurück und fiel ins Bett. In diesem Moment wachte er erschrocken auf.
Genau zwei Monate später erzählte er Mama von diesem Traum.
An diesem Tag wachte er früh auf und wusste, dass sein Ende nahe war.
Sein Körper schien seinem Gehirn diese Nachricht zu übermittelten. So war es bei ihm und bei anderen Menschen, die ich im Laufe meines Lebens kennengelernt habe.
Ich glaube nicht, dass wir gehen, sondern dass wir anhalten. Wir schließen einen Zyklus ab. Wenn es bei Tieren und Pflanzen so ist, warum sollte es bei uns anders sein? Unser Leben steht still, wenn unser Gehirn stillsteht. Das Leben endet, wenn die Batterie leer ist, nur dass wir keine neue einlegen können.
Papas Krankheit ermöglichte uns wenigstens, dass wir uns von ihm verabschieden konnten, und Tim machte eine wichtige Erfahrung.
Papa erzählte Mama, wie er im Traum über Madrigal geflogen war. Sie lachten, und ihr kamen die Tränen, als er sagte, dass jetzt für ihn der Moment gekommen sei, zu fliegen.
Am nächsten Tag kochte Tereza Kaffee, denn Padre Benedito würde in einigen Minuten ankommen. Sie war zur Kirche gegangen und erleichtert zurückgekehrt, weil sie sicher war, ihre Pflicht getan zu haben. Trotzdem stellte sie sich Papas wütende Reaktion vor, wenn der Priester sagen würde, es sei an der Zeit, »Jesus seine Seele anzuvertrauen«. Sie zitterte vor Angst, als sie sich diese Situation ausmalte.
Im Zimmer unterhielten sich meine Eltern über einige Unterlagen und das bisschen Geld, das in der kleinen Kiste im Arbeitszimmer aufgehoben wurde. Sie sprachen über die Kinder, bis Papa völlig überraschend ein ganz anderes Thema anschnitt.
»Du musst wieder heiraten, meine Schöne, aber such’ dir einen aus, der dich verdient.«
Sie wischte sich mit einem Tuch über ihre Augen, die vom Weinen angeschwollen waren.
»Sag das nicht.«
»Wir müssen über alles sprechen, Tyanna. Es wäre ungerecht von mir, zu verlangen, dass du allein bleibst. Ich sage das auch im Hinblick auf unsere Kinder. Sie werden mich brauchen, aber ich werde nicht mehr hier sein. Also sieh’ zu, dass du ein neues Familienoberhaupt findest, jemanden, der sie beschützen kann.«
Mama strich mit der Hand über sein eingefallenes, aber frisch rasiertes Gesicht. Er war so abgemagert, dass seine Wangenknochen hervortraten. Deren Fleisch war verschwunden. Aristeu kam jetzt oft zu uns nach Hause, um in verschiedenen Dingen auszuhelfen, wie, zum Beispiel, Papa zu baden und zu rasieren. Außerdem trug er eine Salbe auf die Stellen am Rücken und an den Knöcheln auf, an denen sich Schorf gebildet hatte. Die seiner Aussage nach starken Schmerzmittel zeigten keine Wirkung mehr, die Schmerzen gewannen die Oberhand. Papas Überlebenskampf beschränkte sich darauf, ein wenig Suppe zu essen, ohne sich zu übergeben; in den Beinen hatte er nur noch genügend Kraft, um sie auf dem Bett zu bewegen. Jede Regung des Körpers rief eine neue Welle von Schmerzen hervor, die er erfolglos mit den Medikamenten zu stillen versuchte.
Solange es noch möglich war, ging Papa abends langsam zum Kinderzimmer, um den Jungen den gewohnten Gutenachtkuss zu geben. Fred erwiderte ihn, aber Tim wandte sein Gesicht ab und schloss die Augen, selbst wenn Papa gesehen hatte, dass er noch wach war. Hinterher weinte Tim vor Reue in der Dunkelheit seiner Kinderseele.
An Papas letztem Lebenstag kam Fred aus der Schule und hörte Ausschnitte der Unterhaltung seiner Eltern im Nebenzimmer.
Papa sagte: »Sprich mit den Kindern.«
, fragte er sich. Aber dann zerstreute er diese Gedanken, nahm sein Schachspiel und rief Bitu, um mit ihm unter dem Flamboyant an der Straßenecke eine Partie zu spielen. Fred unterbrach das Spiel, als er sah, wie der Pfarrer vor unserer Tür in die Hände klatschte. Er kehrte sofort nach Hause zurück und sah Tim, der mit verschränkten Armen und bösem Gesicht vor dem
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