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Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)

Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)

Titel: Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Schnitt
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Soldaten, die vor oder während des Einsatzes verlassen werden. Ich bin dankbar. Dankbar, zu Hause zu sein, dankbar für die Unterstützung meiner Freundin und dankbar dafür, dass ich nicht sechs Monate am Stück in Kunduz bin.
    Um 5:30 Uhr am nächsten Morgen bin ich hellwach. Bin voller Unruhe, habe das Gefühl, tausend Sachen erledigen zu müssen. Will los, mein Auto bei meinen Eltern abholen, will um die Alster joggen, will mit meiner Produzentin sprechen, will meinen besten Freund treffen, will … Als meine Freundin den Kopf aus dem Kissen hebt, rufe ich ihr zu: »Ich hol uns schnell einen Cappuccino!« Ihr Kopf fällt aufs Kissen zurück: »Baby, das Café hat noch gar nicht geöffnet.«
    »Man selber merkt nicht, dass man sich verändert. Das merken andere«, hat mir ein einsatzerfahrener Offizier zu Anfang meines Projektes gesagt. Das stimmt. Meine Freundin sagt, dass ich in den ersten Tagen extrem rastlos, aber auch extrem schweigsam war. Ich habe das gar nicht gemerkt. Vielleicht hat Kunduz doch mehr in mir gearbeitet, als ich dachte. Ich habe mir immer gesagt, alles gut, ist doch nichts passiert. Nach ein paar Tagen in Hamburg ist die Unruhe weg, ich kann wieder schlafen.

Plastikplane über dem Safe House
    Ein paar herrliche Wochen später bin ich – aufgetankt mit Liebe, Nähe, Fürsorge und gutem Essen – zurück in Afghanistan. Eine Versorgungsfahrt bringt mich zu »meinen Soldaten« ins Feld. Raus aus dem Feldlager, vorbei am Polizeihauptquartier, hoch auf die Westplatte und dann querfeldein. Es ist Anfang November und das Wetter entsprechend herbstlich – Wolken hängen tief am Himmel, der Boden ist matschig.
    Die 3. Kompanie ist in der Nähe von Nawabad eingesetzt. Die Stadt liegt im Nordwesten der Provinz Kunduz und galt lange als Hochburg der Taliban. Auch heute noch ist sie ein vermuteter Rückzugsort für die Aufständischen. In Nawabad leben etwa 15 000 Menschen, die mehrheitlich der Ethnie der Paschtunen angehören.
    Seit meinem letzten Aufenthalt wurde die Sicherheitsverantwortung im südlichen Teil des Distrikts offiziell an die Afghanen übergeben. Die Höhe 432 zum Beispiel wird jetzt von der ANA gehalten. Mein herzliches Beileid.
    Durch die Übergabe werden für den Kommandeur der Task Force Kunduz, Oberstleutnant Lutz Kuhn, wieder Kräfte frei. Und mit denen will er in Nawabad Präsenz zeigen. In der Ortschaft soll ein Combat Outpost (COP), also ein Vorposten, gebaut werden. Nicht für die Bundeswehr, sondern hier soll die afghanische Polizei stationiert werden. Zuvor sollen die Soldaten der 3. Kompanie die Umgebung patroullieren und die COP-Baustelle bewachen. Die Bewohner von Nawabad sollen verstehen, dass ISAF – oder wenigstens die afghanische Regierung in Gestalt der Polizisten – gekommen ist, um zu bleiben.
    Fußpatrouillen am Morgen, Befehlsausgaben und kleine Patrouillen am Nachmittag, Aufklärungspatrouillen mit Nachtsichtgeräten in der Nacht – der Tagesablauf der Soldaten der 3. Kompanie ist fordernd.
    Die Kompanie ist in einem sogenannten Safe House untergebracht. In unserem Fall ist das eine große Freifläche, rundum geschützt mit einer Lehmmauer. Im Inneren bilden die Fahrzeuge eine Art Wagenburg – die Marder-Schützenpanzer, die Dingos und die Transportpanzer Fuchs. Es gibt einen Dieselgenerator. Das war’s. Die Soldaten haben ihre Feldbetten neben den Fahrzeugen aufgestellt, darüber dicke Plastikplanen gegen die Witterung.
    Der Foxtrott-Zug ist noch auf Patrouille. Ich klettere auf einen Vorsprung, um über die Mauer zu gucken. Die Wolken hängen schwer über dem Gebirge. Vor mir die Westplatte, auf der die Soldaten kurz nach unserer Ankunft ihre Waffen eingeschossen hatten. Damals war es eine staubige Wüstenlandschaft, jetzt wachsen hier und dort kleine Pflanzen, und die Erde ist von dünnem Gras bedeckt. Eine Schafherde zieht vorbei. Zwei Kinder – wohl die Hirten – haben mit einem Stecken einen Kreis in den Lehmboden gezogen. Jetzt holen sie Murmeln aus einem kleinen Sack. Neben mir steht ein Soldat, der die Gegend überwacht. Seine MP7-Maschinenpistole liegt auf der Lehmmauer. Vielleicht würde es mir in zwei Tagen nicht mehr auffallen, aber heute – gerade aus der Zivilisation zurück – finde ich das Bild absurd: im Vordergrund die MP des Soldaten – im Hintergrund Kinder, die mit Murmeln spielen.
    Aus der Ferne kommt der Foxtrott-Zug herangerollt. Langsam zieht er an den Lehmhütten, an der Ziegenherde, an den mit Murmeln spielenden Kindern

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