Frag die Karten
hatte, fühlte ich mich wohler. Die übergroße Anspannung, unter der
ich zu lange gelebt hatte, wich, und ich war erleichtert.
Linnea sagte: »Mein Gott, Sharon, du
bist ganz schön zusammengeklappt. Das kann doch nicht nur wegen mir gewesen
sein. Was hast du sonst noch für Sorgen?«
»Die Vorstellung von jemandem, den man
liebt, in einer Badewanne voll blutigem Wasser, ist genug, um einen an den Rand
eines Nervenzusammenbruchs zu treiben.«
»Kann sein, aber da steckt noch was
anderes dahinter.«
Sie war zu ruhig, zu gelassen. Ich
wußte, daß dieser Zustand nicht andauern würde, aber es war immerhin ein
Schritt auf dem richtigen Weg. Wenn ich sie dazu brachte, daß sie zurückfuhr
nach San Diego und zu ihren Kindern, solange sie sich in diesem Zustand befand,
würde sie es vielleicht schaffen.
Jetzt fragte sie: »Es sind diese Morde,
nicht wahr? Molly und Madame Anya?«
»Ja«, gab ich zu. »Man glaubt, daß man
abgehärtet ist, daß man viel gesehen hat, und dann...« Ich schüttelte den Kopf.
»Das tut mir leid«, sagte Linnea leise.
»Hat man denn schon eine Spur?«
»Nein. Und ich habe drei Stunden Zeit —
das heißt, jetzt sind es nur noch zwei um etwas zu finden, sonst lande ich im
Gefängnis wegen Behinderung einer polizeilichen Ermittlung.«
Linnea riß die Augen weit auf. »Das
meinst du doch nicht im Ernst!«
»Ich glaube zwar nicht, daß Greg so
weit gehen würde, mich zu verhaften, aber...«
»Und was willst du tun?«
»Jetzt werde ich mir das Gesicht
waschen, werde mich umziehen und dann mit ein paar Leuten reden.«
»Du mußt etwas essen.«
Ich machte eine müde Handbewegung. »Ich
bringe nichts hinunter.«
»Sharon, du mußt endlich ordentlich
essen.«
Wer hatte mir das schon einmal gesagt?
Stanley, der Barkeeper. Dabei fielen mir wieder die Fragen ein, die ich Linnea
stellen wollte. »He«, sagte ich, »hast du was von Herb Clemente gehört?«
Sie lächelte. »Ja. Ich hab’ ihn heute
vormittag angerufen, um mich zu entschuldigen, weil ich am Telefon neulich
ausgeflippt bin. Er mußte heute nach Los Angeles, wollte aber gegen Abend
zurücksein. Er hat versprochen, mich zum Flugplatz zu fahren, wenn er
rechtzeitig hier ist.«
»Weißt du, warum er nach Los Angeles
mußte?«
»Nein. Er sagte, es sei geschäftlich.«
In Sachen des Blindenzentrums? Oder
hatte es etwas zu tun mit dem Diebstahl einer Ladung Tanqueray-Gin?
»Wann fliegst du?« fragte ich.
»Die Maschine um elf war die früheste,
die ich buchen konnte. Wenn Herb nicht anruft, nehme ich ein Taxi.«
»Nein. Ich versuche, bis dahin zurück
zu sein, dann fahre ich dich hinaus.«
»Und wenn du nicht hier bist, bedeutet
das, daß du in Schwierigkeiten geraten bist. Dann bleibe ich natürlich und
versuche, zu helfen.«
Ich lächelte schwach. »Danke. Noch eine
Frage: Als Molly neulich hier war, gegen fünf an dem Abend, als sie gestorben
ist...«
Linnea errötete. »Was willst du
wissen?«
»Ich interessiere mich nicht für euren
Streit. Ich glaube, ich weiß, worum es dabei gegangen ist.«
»Davon bin ich überzeugt. Sie hat mich
angebrüllt, weil ich so viel trinke. Was willst du wissen?«
»Als Gus und Sebastian herüberkamen,
ist Gus da hereingekommen in die Wohnung?«
Linnea zog die Stirn in Falten. »Ich
glaube... Ja, ich bin sicher, er war hier.«
»Richtig drin, im Zimmer?«
»Ja, genau. Er saß da, wo du jetzt
sitzt, und blätterte in den Illustrierten. Warum?«
Ich ignorierte ihre Frage. Gus hatte
die Möglichkeit, die Vorhangschnur an sich zu nehmen. Er hatte auch die
Gelegenheit, Molly zu erdrosseln — keiner der Dominospieler konnte ihm ein
wasserdichtes Alibi geben. Ich hatte Gus die ganze Zeit ausgeschlossen, weil
ich ihn für zu einfältig hielt. Aber wenn das nur Verstellung war? Gus
arbeitete für das Blindenzentrum; er hatte Tim heute morgen gesagt, er habe
genug Geld, um die Miete zahlen zu können. Gus konnte durchaus in den
Hehlerring mit einbezogen sein.
»Warum?« wiederholte Linnea.
»Was?«
»Warum fragst du mich nach Gus?«
»Es hat etwas zu tun mit der
Vorhangschnur, die mir fehlt.«
»Ist das immer noch deine
Sammelleidenschaft?«
»Warum nicht? Es ist ein Hobby, das ich
auch im Gefängnis betreiben kann.«
»Ich finde das gar nicht komisch.«
»Ich weiß.« Jetzt nahm ich meine
Handtasche, und da ich meine 38er Pistole im Handschuhfach meines Wagens
gelassen hatte, der auf dem Parkplatz beim Flughafen stand, ging ich zu meinem
kleinen Safe und nahm die zweite Schußwaffe
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