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Frame, Janet

Frame, Janet

Titel: Frame, Janet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wenn Eulen schrein
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darauf gebaut worden –, sondern zur anderen am Stadtrand, in der Nähe der Flussmündung. Zur Kiesgrube. Manchmal fuhr Toby mit seinem Laster an die Spitze der Landzunge; saß hinter dem Lenkrad und sah zu, wie Meer und Fluss aufeinandertrafen, das forellenbraune Wasser sich wie eine Scheibe über die glatten, elfenbeinweißen Steine breitete und die zögerliche See, von der Flut mit Druck versehen, das eigene Reden mit Scht-scht-scht übertönte und langsam herankroch, zuerst in kleinen Teichen, die sie mit geschenkten Muscheln und Seetang füllte, dann in langen, tanzenden weißgrünen Ketten, die dem Fluss den Weg abschnitten, sich seufzend unterwühlten, den mittlerweile braunen und gelben Saum und den faulen Tang und die träge, würgende Ruhe eines grünbraunen Halbortes umspülte. Pscht – Pscht. Psch-sch-sch-scht.
    Wenn die See doch nur eine Sekunde oder Minute oder fünf Minuten lang innehalten würde, damit man ein Wort oder einen Schrei oder ein Lied oder einen Fluch einwerfen könnte.
    Und wie Toby im Wagen saß und die See in seinen Ohren hauste, sagte er gereizt:
    «Sei still. Halt den Mund, während ich nachdenke.»
    «Worüber willst du denn nachdenken, Toby?»
    «Ach, ganz allgemein, über alles.»
    «Und worüber im Besonderen, Toby?»
    «Ach, nagle mich nicht auf Einzelheiten fest. Über alles Mögliche.»
    «Worüber willst du nachdenken, Toby? Worüber willst du nachdenken?»
    «Na, dann fließ weiter, verflucht noch mal. Aber sprich für mich. »

26
    Das hohle Haus wird sich niemals füllen.
    Die Weihnachtskarten sind auf dem Kaminsims aufgereiht; die Sixpence-Lichter winden sich schief und krumm über die Decke wie knallige Riesenbonbons, rot, golden und heidelbeerblau; die Ziehharmonikaglocken, die bei jedem Luftzug von draußen, der sie anhaucht, seufzen, hängen still und sind voller Fliegen, die sich drängen wie Millionen schwarzer Menschen auf einer papiernen Welt; von Küchenwand zu Küchenwand schlingen sich Wimpel und dünne Papier-Weihnachtsmänner, die mit Lametta um den Hals aufgehängt sind; ein sterbender Kiefernzweig lehnt müde auf dem Bücherbord, Kalenderreihen verstecken sich verschämt, mit dem Gesicht zur Wand, bis zum ersten Januar, verheißen aber ihre Pracht aus Rosen und Lilien und Meer und Sonnenuntergang und erlegtem Wild; die bitteren Mistelzweige graben sich trotzig durch die verblasste Tapete.
    Und das hohle Haus wird sich niemals füllen.
    Es ist Weihnachtstag, drei Uhr nachmittags. Toby und Bob Withers räkeln sich schlafend auf Sofa und Sessel. Amy ist eben mit dem Abwaschen fertig und stellt die Überreste des Lammbratens und die dunkle, halb aufgegessene Erde aus Plumpudding weg; dabei wirft sie, während sie die Tür des Speiseschränkchens öffnet, das draußen am Birnbaum hängt, den Katzen Fjodor und Mathilda ein paar Brocken Fleisch hin. Puss puss. Puss puss. Aber Fjodor und Mathilda sind viel, viel zu schläfrig, um sich aus ihrer atmenden schwarzgrauen Wolke zu entrollen. Alles schlummert, warum nicht auch wir, sagen Fjodor und Mathilda. Die Sonne bedeckt ihr Gesicht mit einer weichen, weißgrauen Pfote, und die paar jungen Wolkenkätzchen recken sich, gähnen und rollen sich wieder zusammen. Puss puss, ohne mich.
    Und im Radio singt ein auserlesener Frauenchor Ihr Kinderlein kommet, o kommet doch all.
    Amy geht zum Fenster und schaut den Gartenweg entlang. Ich dachte, ich hätte jemanden kommen hören, ein Auto. Ich werde ihnen ein Stück Mürbekuchen oder Weihnachtskuchen zum Tee anbieten. Aber hoffentlich ist es kein Besuch. Ich will nur schnell das Tischtuch über dem Tisch ausbreiten, damit die Fliegen nicht an den Kuchen können, und dann lege ich mich vorne im Zimmer ein bisschen hin.
    Sie zieht ihre Pantoffeln aus, sie sind neu, mit Schottenmuster und wie Ruderboote geformt, und legt sich auf das Bett im Zimmer nach vorn:
Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein,
und einen Sohn gebären,
und sie werden ihm den Namen Immanuel geben,
das heißt übersetzt: Gott mit uns.
Und weil die Ungerechtigkeit überhandnehmen wird,
wird die Liebe in vielen erkalten.
Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden.
    Und noch viele andere Texte sagte Amy auf, während sie an die fliegengesprenkelte Decke starrte und auf den Toilettentisch gegenüber mit dem Durcheinander aus alten Rechnungen und Fotos und Bobs Taschentüchern, die von seinem Raucherhusten beschmutzt waren; und Amys Röhrchen mit Herzpillen und Bobs Leberpillen und den großen grünen

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