Framstag Sam
zitterte vor Angst.
»Lassen Sie mir das Abendessen aufs Zimmer bringen«, sagte Sam ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, daß bereits der Morgen graute, »sonst schieße ich Sie nieder.«
»Sofort, Mijnheer.«
»Und außerdem 'ne Kiste Whisky.«
Eine Stunde später nahmen sie Sam ohne viel Federlesens fest. ›Sie‹ – das waren fünfzig bis an die Zähne bewaffnete Polizisten, von denen sich zwei, bei dem Versuch in Sams Zimmer einzudringen, selbst verwundeten. Die Anwesenheit von zwanzig bis dreißig Journalisten machte die Sache natürlich auch nicht einfacher. Fünfzehn Minuten nach der Verhaftung hatte man Sam endlich aus dem Hotel geschleust. Er wurde in einen Helikopter geworfen, in die Stadt geflogen und landete, ohne daß er erfuhr, was gegen ihn vorlag, in einer Gefängniszelle.
Erschöpft und abgekämpft verjagte er die Marsmännlein, die es sich auf seiner Pritsche gemütlich gemacht hatten, streckte sich aus und war wenige Sekunden später in einen traumlosen Schlaf gefallen, aus dem ihn nicht einmal Kanonenschüsse hätten aufwecken können.
Deshalb wurde er auch nicht wach, als der Türschließer wie jeden Abend auf dem Zellengang seine 90 mm Howitzer abfeuerte.
Man ließ Sam den ganzen Tag in Ruhe.
In der zweiten Nacht schloß er Bekanntschaft mit seinem Nachbarn aus Zelle 64. Der klopfte nämlich gegen die Wand und benutzte dabei ziemlich schlampig ausgeführte Morsezeichen. Sam wurde schlagartig hellwach.
»Hallo, Genosse«, entzifferte Sam mit einiger Mühe. Immerhin war es mehr als fünfzig Jahre her, seit er die letzten Morsezeichen entziffert hatte.
»Hallo«, sendete Sam zurück.
»Was hast du angestellt?«
»Weiß ich nicht«, klopfte Sam zurück.
Die Klopfzeichen des anderen signalisierten Mitleid. »Schon wieder ein Unschuldiger, wie?«
»Sieht ganz so aus.«
»Dieses Regime hat abgewirtschaftet«, sendete der Genosse.
»Du hast es also auch schon gemerkt.«
»Wenn ich hier herauskomme, werde ich auf eine Revolution hinarbeiten.«
»Gute Idee«, meinte Sam.
»Ich bin nämlich«, sendete der andere, »Mitglied der Kommunistischen Partei, mußt du wissen, die natürlich immer noch verboten ist, weil wir mit den Wahnsinnszuständen, die in dieser Gesellschaft herrschen, nicht einverstanden sind. Damit meine ich den Widerspruch, daß einige wenige im Überfluß schwelgen, während der Proletarier in Unterdrückung und Elend lebt und an sein Auto gekettet bleibt. Deswegen ist unsere Bewegung illegal, aber in Kürze werden wir uns erheben, und dann wollen wir mal weitersehen. Obwohl wir dann gut organisiert und stark sein werden, hängt natürlich alles von der Frage ab, ob wir den richtigen Führer finden; jemanden, der in den historischen Tagen schon aktiv war und deswegen über die nötigen Kenntnisse des Klassenkampfes verfügt, andererseits aber noch genügend an jugendlicher Kraft und Vitalität aufzuweisen hat, um die Sache durchzuführen. Das sind natürlich zwei hochwichtige Faktoren und es wird bereits gemunkelt, daß ein solcher Führer im Anmarsch sei. Einige Genossen, die es wissen müssen, vertreten die Ansicht, daß der Vorsitzende Mao höchstpersönlich ein Zeitreisender ist und in Kürze hier auftauchen wird, um die Zügel in die Hand zu nehmen.«
. »Schon mal was von Framstag gehört?« fragte Sam.
Der andere antwortete nicht.
»Schon mal was von Framstag gehört?« hämmerte er.
»Ja«, morste der andere bald darauf. Sam machte einen Luftsprung, der ihm eine Beule am Kopf einbrachte.
»Kann nicht erklären«, morste der andere. »Hab' einen Krampf.«
Einen Krampf! Das mußte ja so kommen. Warum hatte dieser verwünschte Kerl auch seine ganze ideologische Litanei heruntermorsen müssen? Nach einem solchen Morseschwall mußte selbst der bestgeschulteste Funker einen Krampf bekommen. Sogar einem Ochsen wäre es nicht anders ergangen, wenn ich so darüber nachdenke, wenngleich man dabei natürlich berücksichtigen muß, daß Ochsen sich äußerst selten, vielleicht sogar nie des Morsealphabets bedienen. Auf jeden Fall mußte Sam sich seinen Nachbarn aus Zelle 64 warmhalten. Er schien etwas zu wissen.
»Wie heißt du?« fragte Sam.
»Sam«, lautete die Antwort.
»Ich auch.«
»Wie schön.«
»Dein Nachname, du Schafskopf!«
Eine beleidigte Pause folgte. »Sam Miniowsky.«
»Danke.«
»Selber Schafskopf«, morste der andere. Er war deutlich am Ende seiner Kräfte. Etwas später vernahm Sam einen dumpfen Plumps. Kurz darauf holten zwei
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