Framstag Sam
schön, als daß ich auf der Stelle fortfahren könnte. Ich muß ihn einfach wiederholen, so schön ist er. Ich muß zugeben, daß mir beim Abfassen dieser Passage selbst ein paar Tränen der Rührung entfleucht sind.
Noch so ein Satz. Tränen der Rührung entfleucht. Wie schön! Wie reich doch unsere Sprache ist.)
Talleyrands sorgenvolle Schritte waren also eben im Begriff, sich langsam zu entfernen, und Sam und Julie, die durch das Mitgefühl des weisen, alten Mannes ein wenig Trost empfangen hatten, trockneten ihre Tränen.
»Ich weiß alles«, sagte Sam.
»Auch über Framstag?«
»Auch das.«
Julie seufzte. »Als ich noch sooo klein war…« Sie ließ ihre Hand wenige Zentimeter über dem Erdboden schweben, und Sam schaute interessiert hinunter. »Du mußt sehr schnuckelig gewesen sein«, sagte er zärtlich. »Hast du damals Zöpfe mit Schleifchen getragen?«
»Ja. Aber du mußt auch ziemlich schnuckelig gewesen sein. Hattest du damals schon diese süßen Segelohren?«
»Ja, aber du warst sicher noch schnuckeliger.«
»Nein, du.«
»Nein, du!«
» Nein, du! «
»NEIN, DU!«
»So kommen wir nicht weiter«, sagte Julie. »Jedenfalls sagte mein Pappi zu mir, als ich noch klein war: ›Daß du mir niemals eine Silbe von Framstag erwähnst!‹ Wie sollte ich also auf die Idee kommen, daß du gar kein Framstagler bist? Du hast deine Komödie dermaßen gut gespielt…«
»Och, komm«, sagte Sam bescheiden.
»Jawohl. Ich bin dir wirklich auf den Leim gegangen, und das kommt ganz bestimmt nicht oft vor. Aber hör zu, ich werde mit meinem Pappi sprechen. Er muß etwas für dich tun…«
»Wie lieb von dir«, sagte Sam.
»Noch heute!«
»Warum bist du nicht früher auf die Idee gekommen?« fragte Sam ein wenig ungehalten.
»Jetzt bist du aber unfair, Sam. Weißt du denn nicht, daß ich die ganze Zeit über in meinem Zimmer eingesperrt war?«
»Aber nein!« sagte Sam entsetzt.
»Aber so ist es. Ein Dienstmädchen bringt mir das Essen. Aber heute mittag…« – ihre Augen funkelten – »…habe ich sie in den Kleiderschrank geschubst, habe ihr Häubchen und ihre Schürze angezogen und bin einfach hinausgegangen. Ganz einfach so. Wie findest du das?«
Sam war vor Bewunderung sprachlos. Wer hätte in diesem zierlichen Mädchen aber auch schon eine derartige Abenteuerlust vermutet?
»Ich hoffe, du hast den Kleiderschrank ein Stückchen aufgelassen«, sagte Sam. »Sonst könnte es für das Mädchen nämlich gefährlich werden, weißt du?«
»Ich habe ihr ein paar Luftlöcher gebohrt. Jedenfalls werde ich mit meinem Vater sprechen, und er wird dich hier herausholen. Jetzt muß ich aber sehen, daß ich wieder verschwinde. Es ist sowieso Zeit, stimmt's, Mijnheer Talleyrand?«
Talleyrand stand mit rotgeweinten Augen auf der Schwelle. »Ach, Kinder«, seufzte er.
Julie küßte Sam innig. Dann ging sie.
Den Rest des Tages verbrachten Sam und Talleyrand mit Schachspielen.
Ein paar Tage später wurde der andere Sam eingeliefert; Sam, der Kommunist, mit dem Sam bereits während seiner Zeit im Gefängnis Bekanntschaft geschlossen hatte. Die Patienten hielten sich gerade im Garten auf, als der arme Kerl in Talleyrands Be^gleitung gebracht wurde. Er war unrasiert und hatte einen gehetzten Blick in den Augen.
»He!« rief Sam.
»Ahoi, da drüben!« erwiderte Sam finster.
Die nächsten Tage sahen sie einander nicht, aber Sam unternahm alles mögliche, um mit ihm in Kontakt zu kommen. Am dritten Tag gelang es ihm schließlich. So schlecht ging es dem Kommunisten-Sam offenbar doch nicht. Er machte nur eine kurze Schlafkur, damit man ihn von irgendwelchen Wahnideen heilen konnte, die er wer weiß wo aufgeschnappt hatte und besagten: ›Gleiches Recht für alle‹ und dergleichen Unsinn mehr.
»Ich weiß nun genau, was es mit dem Framstag auf sich hat«, flüsterte er, als sie unauffällig am Goldfischteich standen und ins Wasser schauten. »Es ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. Wenn ich hier herauskomme, wird das alles geändert. Mao…«
»Das hast du mir schon erzählt«, unterbrach ihn Sam. »Aber was mir einfach nicht eingeht, ist folgendes: Wo haben sie diesen Framstag überhaupt her?«
»Ich hab' keinen Schimmer«, sagte Sam.
»Schade. Ich dachte, du wüßtest das.«
»Nein, ich weiß es nicht.«
»Das habe ich auch schon gemerkt.«
»Du willst also ausbrechen?«
Daran hatte Sam noch gar nicht gedacht. »Ausbrechen? Keine üble Idee. Meine Verlobte hat mir zwar versprochen, daß sie mich
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