Franzen, Jonathan
abgefallenen Ästen auszuweichen.
«Fast
frage ich mich, ob sie schon gestern hier gewesen sind», sagte Walter. «Ob es
ein Missverständnis gab und sie das Gerät schon gestern hergebracht haben, um
früh anfangen zu können.»
«Ab zwölf
Uhr Mittag waren sie dazu berechtigt.»
«Aber sie
haben uns etwas anderes gesagt. Sie haben gesagt, heute früh um sechs.»
«Ja, aber
das sind Kohleunternehmen, Walter.»
Sie
erreichten einen der schmälsten Abschnitte der Straße, grob planiert und mit
Kettensägen bearbeitet, die Stämme hatte man in die unterhalb davon liegende
Schlucht gestoßen. Lalitha jagte den Motor hoch und schlingerte und holperte
über ein hastig eingeebnetes Stück aus Schlamm, Steinen und Stümpfen. «Gut,
dass das ein Mietwagen ist!», sagte sie und beschleunigte beherzt auf dem
freieren Straßenstück dahinter.
Drei
Kilometer weiter, an der Grenze des Areals, das jetzt der Stiftung gehörte,
war die Straße von ein paar Personenwagen blockiert, die rückwärts vor einem
Maschendrahttor, das gerade von Arbeitern in orangefarbenen Westen
zusammengebaut wurde, abgestellt waren. Walter sah Jocelyn Zorn und einige
ihrer Frauen mit einem behelmten Bauleiter verhandeln, der ein Klemmbrett in
der Hand hielt. In einer anderen, nicht allzu verschiedenen Welt hätte Walter
mit Jocelyn befreundet sein können. Sie ähnelte der Eva auf dem berühmten
Altargemälde von van Eyck; sie war blass und stumpfäugig und wirkte mit ihrem
hohen Haaransatz ein wenig makrozephalisch. Doch sie strahlte eine schöne,
verstörende Gelassenheit aus, eine Unerschütterlichkeit, die auf Ironie
hindeutete, hatte etwas von jenem bitteren Blattsalat, den Walter eigentlich
sehr schätzte. Als er und Lalitha gerade in den Matsch hinein ausstiegen, kam
sie ihnen auf der Straße entgegen.
«Guten
Morgen, Walter», sagte sie. «Können Sie uns erklären, was hier abgeht?»
«Sieht mir
nach einer Straßenausbesserung aus», sagte er unaufrichtig.
«Da geht
eine Menge Dreck in den Bach. Bis zum Black Jewel ist er schon zur Hälfte trüb. Ich sehe hier nicht gerade viel Erosionsschutz.
Eigentlich weniger als nichts.»
«Wir reden
mit denen darüber.»
«Ich habe
der Umweltbehörde von West Virginia gesagt, sie soll sich das mal ansehen. Die
dürften dann wohl im Juni oder so hier sein. Haben Sie die auch bestochen?»
Zwischen
den braunen Spritzern auf der Stoßstange des hintersten Wagens konnte Walter
den Slogan genarrt von nardone erkennen.
«Lassen
Sie uns mal ein bisschen runterschalten, Jocelyn», sagte Walter. «Können wir
uns nicht vielleicht mal mit etwas Abstand das Gesamtbild ansehen?»
«Nein»,
sagte sie. «Das interessiert mich nicht. Mich interessiert der Dreck im Bach.
Mich interessiert auch, was hinter dem Zaun da passiert.»
«Da
passiert, dass wir sechsundzwanzigtausend Hektar straßenfreies Waldland für
die Ewigkeit bewahren. Wir sichern unfragmentierten Lebensraum für rund
zweitausend Brutpaare des Pappelwaldsängers.»
Zorn
senkte den stumpfen Blick auf die schlammige Erde. «Stimmt. Die Spezies Ihrer
Wahl. Er ist ja auch sehr hübsch.»
«Wie
wär's, wenn wir alle woanders hingingen», sagte Lalitha fröhlich, «und uns
hinsetzen und über das Gesamtbild reden. Wir sind nämlich auf Ihrer Seite.»
«Nein»,
sagte Zorn. «Ich bleibe noch eine Weile. Ich habe meinen Freund von der Gazette gebeten,
sich hier mal umzuschauen.»
«Haben Sie
auch mit der New York Times gesprochen?», fiel Walter zu
fragen ein.
«Ja. Und
sie schienen in der Tat ziemlich interessiert. Gipfelabbau ist heutzutage ein
Zauberwort. Das machen Sie doch da oben, oder?»
«Am Montag
geben wir eine Pressekonferenz», sagte er. «Da werde ich den ganzen Plan
darlegen. Ich glaube, wenn Sie die Details hören, werden Sie begeistert sein.
Wir können Ihnen ein Flugticket besorgen, falls Sie dazustoßen möchten. Ich
fände es wunderbar, Sie dabeizuhaben. Wir beide könnten ein kleines
öffentliches Streitgespräch führen, wenn Sie Ihre Bedenken vortragen wollen.»
«In
Washington?»
«Ja.»
«Typisch.»
«Da haben
wir unseren Sitz.»
«Genau. Da
hat alles seinen Sitz.»
«Jocelyn,
wir haben hier zwanzigtausend Hektar, die man nie mehr in irgendeiner Weise
berühren wird. Für den Rest wird binnen weniger Jahre dasselbe gelten. Ich
glaube, wir haben einige sehr gute Entscheidungen getroffen.»
«Dann sind
wir da wohl unterschiedlicher Meinung.»
«Im Ernst,
überlegen Sie sich, ob Sie Montag zu uns nach Washington kommen
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