Franzen, Jonathan
er selbst in Verlegenheit geraten oder
Walter Mitleid mit ihm haben könnte, im Keim ersticken wollte. Das machte
Walter seinetwegen traurig. Während Jim Eider am Mikro damit begann, die
tapferen Soldaten im Irak und in Afghanistan zu rühmen, warf Walter Mathis ein
schüchternes Lächeln zu, um ihm zu zeigen, dass er seinetwegen, ihrer beider
wegen traurig war. Doch Mathis' Miene blieb unverändert, und er hörte nicht
auf, ihn anzustarren.
«Ich
glaube, jetzt gibt es erst mal ein paar Bemerkungen von der
Waldsängerberg-Stiftung», sagte Jim Eider, «der zu verdanken ist, dass
Whitmanville und die hiesige Wirtschaft in den Genuss all dieser wunderbaren,
zukunftsträchtigen Arbeitsplätze kommen. Bitte begrüßen Sie mit mir Walter
Berglund, den Geschäftsführer der Stiftung. Walter?»
Aus seiner
Traurigkeit, die Mathis galt, war eine allgemeinere Traurigkeit geworden, eine
Welttraurigkeit, eine Lebenstraurigkeit. Als er auf dem Podium stand, machte er
Vin Haven und Lalitha aus, die
nebeneinandersaßen, und warf beiden von ihnen ein kleines Lächeln des Bedauerns
und der Entschuldigung zu. Dann beugte er sich zum Mikrophon.
«Vielen
Dank», sagte er. «Willkommen. Ein besonderes Willkommen für Mr. Coyle Mathis
und die anderen Männer und Frauen von Forster Hollow, die in dieser ganz ungeheuer energieineffizienten Fabrik beschäftigt
sein werden. Ist einiges passiert seit Forster Hollow, nicht?»
Außer
einem tiefen Anlagengesumm war der einzige Laut das Echo seiner verstärkten
Stimme. Er sah rasch zu Mathis hin, dessen Miene weiter eine der Verachtung
war.
«Ja, also,
willkommen», sagte er. «Willkommen in der Mittelschicht! Das ist mir wichtig
zu sagen. Obwohl, bevor ich fortfahre, möchte ich noch schnell etwas zu Mr.
Mathis hier in der ersten Reihe sagen: Ich weiß, Sie mögen mich nicht. Und ich
mag Sie auch nicht. Aber wissen Sie, damals, als Sie mit uns nichts zu tun
haben wollten, habe ich das respektiert. Es hat mir nicht gefallen, aber ich
hatte Respekt vor Ihrer Haltung. Vor Ihrer Unabhängigkeit. Weil ich nämlich
selbst aus einem Ort stamme, der ein bisschen wie Forster Hollow ist, bevor ich mich der Mittelschicht angeschlossen habe. Und nun sind
auch Sie in der Mittelschicht, und ich möchte Sie alle willkommen heißen, weil
sie etwas Wunderbares ist, unsere amerikanische Mittelschicht. Sie ist die
Stütze der Wirtschaft auf dem gesamten Erdball!»
Er sah,
dass Lalitha Vin etwas zuflüsterte.
«Und nun,
da Sie die Arbeitsplätze in dieser Schutzwestenfabrik haben»,
fuhr er fort, «werden auch Sie an jener Wirtschaft teilhaben können. Auch Sie
können nun dazu beitragen, noch das letzte Fleckchen ursprünglichen Lebensraums
in Asien, Afrika und Südamerika auszuplündern! Auch Sie können nun einen eins
achtzig Meter breiten Plasmafernseher kaufen, der unglaubliche Energiemengen
verbraucht, selbst wenn er nicht angeschaltet ist! Aber das geht schon in
Ordnung, denn deshalb haben wir Sie ja überhaupt erst aus Ihren Häusern
geworfen, damit wir Ihre angestammten Berge abtragen und die kohlebetriebenen
Generatoren beschicken können, die die Hauptursache der Erderwärmung und von
anderen hervorragenden Dingen wie dem sauren Regen sind. Eine perfekte Welt,
nicht wahr? Ein perfektes System, denn solange Sie Ihren eins achtzig Meter
breiten Plasmafernseher haben und dazu noch den Strom, um ihn laufenzulassen,
müssen Sie sich keine Gedanken über die hässlichen Konsequenzen machen. Sie
können sich Survivor: Indonesien ansehen, bis es kein Indonesien mehr gibt!»
Coyle
Mathis buhte als Erster. Sogleich stimmten viele andere mit ein. Am Rand seines
Blickfelds, über der Schulter, sah Walter, dass Eider und Dennett aufstanden.
«Nur noch
ganz schnell, hier», fuhr er fort, «weil ich meine Ausführungen kurz halten
möchte. Nur noch einige wenige Bemerkungen zu dieser perfekten Welt. Ich
möchte diese großen, neuen 30-Liter-Fahrzeuge erwähnen, die Sie nun, da Sie wie
ich der Mittelschicht angehören, kaufen und nach Belieben fahren können. Dieses
Land braucht deshalb so viele Schutzwesten, weil gewisse Leute in gewissen
Teilen der Welt nicht wollen, dass wir ihr ganzes Öl stehlen, damit Sie, die
Sie hier sitzen, Ihre Fahrzeuge fahren können. Und je mehr Sie also Ihre
Fahrzeuge fahren, desto sicherer sind Ihre Arbeitsplätze in dieser
Schutzwestenfabrik! Ist das nicht perfekt?»
Das
Publikum war nun aufgestanden und schrie ihn an, er solle den Mund halten.
«Das
reicht», sagte Jim Eider
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