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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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es
ist ja nicht so, dass ich dadurch ins Minus komme. Ich mache nur kein Plus. Und
Connie kann jetzt wieder ans College, das ist auch gut. Ich überlege, ob ich
ein Jahr aussetze und arbeite, damit sie aufholen kann.»
    «Toll. Es
ist toll zu sehen, wie ihr beide füreinander da seid. War noch was anderes?»
    «Ach, bloß
dass ich mich mit Mom getroffen habe.»
    Walter
hielt noch immer zwei Krawatten in der Hand, eine rote und eine grüne, von
denen er eine hatte auswählen wollen. Die Wahl war, wie er nun merkte, nicht
sonderlich bedeutsam. «Tatsächlich?», sagte er und wählte die grüne. «Wo? In
Alexandria?»
    «Nein, in
New York.»
    «Dann ist
sie also in New York.»
    «Naja,
eigentlich in Jersey City», sagte Joey.
    Walters
Brust spannte sich und blieb gespannt.
    «Also,
Connie und ich wollten es ihr persönlich sagen. Ich meine, dass wir geheiratet
haben. Und es war gar nicht so schlimm. Sie war sogar ganz nett zu Connie.
Schon noch von oben herab und irgendwie unecht, die Art, wie sie ständig lachte
und so, aber nicht gemein. Vermutlich hat sie alles Mögliche andere um die
Ohren. Wie auch immer, wir fanden es ziemlich gut. Connie jedenfalls. Ich fand
es eher irgendwie na ja. Aber ich wollte, dass du weißt, dass sie es weiß,
damit du, ich weiß ja auch nicht, falls du mal mit ihr sprichst, es nicht mehr
geheim halten musst.»
    Walter
schaute auf seine linke Hand, die weiß geworden war und ohne den Ehering sehr
nackt aussah. «Sie wohnt bei Richard», brachte er hervor.
    «Äh, ja,
vorübergehend, glaube ich», sagte Joey. «Hätte ich das nicht sagen sollen?»
    «War er
da? Als ihr da wart?»
    «Ja, doch.
Er war da. Und Connie fand es irre, weil sie auf seine Musik steht. Er hat ihr
seine Gitarren gezeigt und so. Ich weiß nicht, ob ich dir schon gesagt habe,
dass sie überlegt, ob sie Gitarre lernen soll. Sie hat eine ziemlich schöne
Singstimme.»
    Wo genau
er Patty die ganze Zeit über vermutet hatte, hätte Walter gar nicht sagen
können. Bei ihrer Freundin Cathy Schmidt,
bei einer ihrer anderen ehemaligen Mannschaftskameradinnen, vielleicht bei
Jessica, womöglich gar bei ihren Eltern. Aber nachdem er sie so tugendhaft hatte verkünden hören, dass zwischen ihr und Richard alles aus sei,
hatte er keine Sekunde lang gedacht, sie könnte in Jersey City sein.
    «Dad?»
    «Was.»
    «Also, ich
weiß, es ist seltsam, ja? Die ganze Sache ist sehr seltsam. Aber du hast auch
eine Freundin, oder? Na ja, ich meine, das ist es dann jetzt, oder? Jetzt ist
alles anders, und wir sollten einfach anfangen, damit umzugehen. Meinst du
nicht?»
    «Doch»,
sagte Walter. «Du hast recht. Wir müssen damit umgehen.»
    Kaum hatte
er aufgelegt, zog er eine Kommodenschublade auf, nahm den Ehering aus der
Schachtel mit den Manschettenknöpfen, in die er ihn getan hatte, und spülte ihn
ins Klo. Mit einem Armschwung fegte er Pattys Bilder von
ihrer Kommode - Joey und Jessica als Unschuldsengel, Mannschaftsfotos von
Teenie-Basketballerinnen in herzzerreißenden Siebziger-Jahre-Uniformen, ihre
liebsten und schmeichelhaftesten Bilder von ihm - und zerstampfte und zermalmte
Rahmen und Gläser mit den Füßen, bis er das Interesse daran verlor und den
Kopf gegen die Wand schlagen musste. Die Nachricht, dass sie zu Richard
zurückgekehrt war, hätte ihn entlasten, hätte ihm die Freiheit geben sollen,
sich an Lalitha reinsten Gewissens zu erfreuen. Doch nicht wie eine Befreiung,
wie ein Tod kam es ihm vor. Er sah jetzt (was Lalitha schon die ganze Zeit gesehen
hatte), dass die letzten drei Wochen lediglich eine Art Rache gewesen waren,
ein Genuss, der ihm als Entschädigung für Pattys Betrug zustand. Trotz seiner Erklärungen, dass die Ehe vorbei war,
hatte er kein winziges bisschen daran geglaubt. Er warf sich aufs Bett und
schluchzte in einem Zustand, dem alle bisherigen Seinszustände unendlich
vorzuziehen waren. Die Welt drehte sich weiter, die Welt war voller Sieger, LBI
und Kenny Barties kassierten ab, Connie ging wieder ans College, Joey tat das
Richtige, Patty lebte mit einem Rockstar zusammen, Lalitha führte ihren guten
Kampf, Richard machte wieder Musik, Richard bekam eine tolle Presse, weil er
viel offensiver als Walter war, Richard becircte Connie, Richard schaffte die
White Stripes heran ... wohingegen Walter bei
den Toten, Sterbenden und Vergessenen zurückblieb, bei den gefährdeten Arten
der Welt, den nicht Anpassungsfähigen ...
    Gegen zwei
Uhr morgens wankte er ins Badezimmer und fand ein altes Tablettenglas mit

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