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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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Pattys Trazodon, dessen Verfallsdatum schon um achtzehn Monate überschritten
war. Er nahm drei, unsicher, ob sie noch wirkten, aber anscheinend taten sie
es: Um sieben Uhr wurde er von Lalithas sehr entschiedenem Rütteln geweckt. Er
hatte noch seine Sachen vom Vortag an, alle Lichter brannten, das Zimmer war
verwüstet, sein Hals war, vermutlich vom heftigen Schnarchen, wund, und der
Kopf tat ihm aus allen möglichen guten Gründen weh.
    «Wir
mussten schon im Taxi sitzen», sagte Lalitha und zog ihn am Arm. «Ich dachte,
du bist fertig.»
    «Kann
nicht fahren», sagte er. «Komm, wir sind schon spät dran.»
    Er
richtete sich auf und versuchte, die Augen offen zu halten. «Ich müsste erst
mal duschen.»
    «Dazu ist
keine Zeit.»
    Er schlief
im Taxi ein, und immer noch im Taxi, wachte er wieder auf, auf der
Schnellstraße, auf der sich der Verkehr wegen eines Unfalls staute. Lalitha
telefonierte mit der Fluggesellschaft. «Wir müssen jetzt über Cincinnati»,
sagte sie zu ihm. «Wir haben unseren Flug verpasst.»
    «Schmeißen
wir doch alles hin», sagte er. «Ich hab's satt, immer der Gute zu sein.»
    «Wir
lassen das Mittagessen sausen und fahren direkt zu der Fabrik.»
    «Und wenn
ich der Böse wäre? Würdest du mich dann auch noch mögen?»
    Sie
runzelte besorgt die Stirn. «Walter, hast du etwa irgendwelche Pillen
genommen?»
    «Im Ernst.
Würdest du mich dann auch noch mögen?»
    Ihr
Stirnrunzeln verstärkte sich, sie gab keine Antwort. Im Wartebereich am
Flugsteig des National Airport schlief er ein; er schlief im Flugzeug nach
Cincinnati ein, in Cincinnati, im Flugzeug nach Charleston und in dem
Mietwagen, den Lalitha mit Höchstgeschwindigkeit nach Whitmanville lenkte, wo
er erwachte und sich besser fühlte, sogar plötzlich Hunger hatte, über sich einen
bedeckten Aprilhimmel, um sich herum eine jener biotisch trostlosen
Provinzlandschaften, die zu einer Spezialität Amerikas geworden waren.
Megakirchen mit Vinylwänden, ein Wal-Mart, ein Wendy's, breite Linksabbiegerspuren, weiße automobile Festungen. Nichts, was
ein Wildvogel hier mögen konnte, es sei denn, der Vogel war eine Krähe oder ein
Star. Die Schutzwestenfabrik ( ardee enterprises, ein unternehmen
der lbi-unternehmensfamilie ) befand sich in einem großen
Schlackensteinbau, dessen frischgewalzter Asphaltparkplatz an den Rändern
ausfranste, ins Unkraut ausbröckelte. Der Platz füllte sich mit massigen
Personenfahrzeugen, darunter ein schwarzer Navigator, dem just in dem Moment,
als Lalitha den Mietwagen quietschend zum Stehen brachte, Vin Haven und einige Anzugträger entstiegen.
    «Entschuldigen
Sie, dass wir das Mittagessen verpasst haben», sagte sie zu Vin.
    «Ich
glaube, das Abendessen wird die größere Gaumenfreude», sagte Vin. «Das wollen
wir zumindest hoffen, nach dem, was sie uns als Mittagessen geboten haben.»
    Im Innern
der Fabrik roch es angenehm kräftig nach Farbe, Plastik und neuen Maschinen.
Walter bemerkte das Fehlen von Fenstern, das Angewiesensein auf elektrische
Beleuchtung. Vor einem Hintergrund sich auftürmender eingeschweißter
Rohmaterialrechtecke waren Klappstühle und ein Podium aufgestellt. Rund
hundert West-Virginier liefen durcheinander, unter ihnen Coyle Mathis, der ein
schlabbriges Sweatshirt und eine
noch schlabbrigere Jeans trug, die beide so neu aussahen, dass er sie auf dem
Herweg bei Wal-Mart gekauft haben mochte. Zwei Teams lokaler TV-Sender hatten
ihre Kameras auf das Podium und das darüber hängende Transparent gerichtet: jobs + nationale S icherheit = jobsicherheit.
    Vin Haven («Sie können die ganze Nacht bei LexisNexis nach mir suchen, und Sie
finden kein einziges wörtliches Zitat aus meinen siebenundvierzig Jahren im
Geschäft») setzte sich unmittelbar hinter die Kameras, während Walter von
Lalitha eine Kopie der Rede entgegennahm, die von ihm geschrieben und von ihr
durchgesehen worden war, und bei den anderen Anzugträgern - Jim Eider, Vizepräsident
von LBI, und Roy Dennett, Geschäftsführer
seiner gleichnamigen Tochtergesellschaft - auf einem Stuhl hinter dem Podium
Platz nahm. In der ersten Reihe des Publikums, die Arme hoch über der Brust
verschränkt, saß Coyle Mathis. Walter hatte ihn seit ihrer unglückseligen
Begegnung im Hof von Mathis' Haus (der jetzt ein ödes Geröllfeld war) nicht
mehr gesehen. Der starrende Blick, mit dem er Walter ansah, erinnerte ihn
erneut an seinen Vater. Es war der Blick eines Mannes, der mit der Wildheit
seiner Verachtung jede Möglichkeit, dass

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