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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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in Nahrung für die Tiere; das einzige akustische Nebenprodukt war das
Summen und Sirren der Insekten. Es war die Zeit des Lohns für die neotropischen
Migranten, es waren die Tage, die genutzt werden mussten. Walter beneidete sie
darum, dass sie eine Arbeit zu erledigen hatten, und er fragte sich, ob er
depressiv wurde, weil dies nach vierzig Jahren der erste Sommer war, in dem
keinerlei Arbeit für ihn anstand.
    Der
landesweite FreiRaum-Bandwettbewerb sollte am letzten Augustwochenende
stattfinden, ungünstigerweise in West Virginia. Der Staat lag nicht eben
zentral und war mit öffentlichen Verkehrsmitteln schwer zu erreichen, doch als
Walter auf seinem Blog einen Ortswechsel vorschlug, saßen seine Fans schon in
den Startlöchern, um nach West Virginia zu reisen und den Staat wegen seiner hohen
Geburtenrate, seines Ausverkaufs an die Kohleindustrie, seines hohen Anteils an
christlichen Fundamentalisten und seiner Verantwortlichkeit dafür, dass die
Wahl 2000 am Ende zugunsten von George Bush ausging, an den Pranger zu stellen.
Lalitha hatte Vin Haven um
Erlaubnis gebeten, die Veranstaltung auf der im Besitz der Stiftung
befindlichen ehemaligen Ziegenfarm abhalten zu dürfen, die sie immer dafür
vorgesehen hatte, und Haven, verblüfft
von ihrer Dreistigkeit und ebenso wie jeder andere außerstande, ihrem
samtbehandschuhten Druck zu widerstehen, hatte eingewilligt.
    Eine
aufreibende Fahrt quer durch den Rostgürtel trieb den Gesamtkilometerstand
ihrer Reise auf über fünfzehntausend, ihren Petroleumverbrauch auf über dreißig
Barrel. Es traf sich, dass ihre Ankunft in den Twin Cities Mitte August mit der ersten schon herbstlich riechenden Kaltfront des
Sommers zusammenfiel. Überall in dem großen borealen Wald Kanadas und des
nördlichen Maine und Minnesota, dem noch weitgehend intakten borealen Wald,
hatten Waldsänger und Fliegenschnäpper, Enten und Ammern die Arbeit der
Jungenaufzucht abgeschlossen und ihr Brutkleid gegen bessere Tarnfarben
ausgetauscht, erhielten von der Kühle des Windes und dem Stand der Sonne das
Zeichen, wieder in den Süden zu fliegen. Häufig brachen die Eltern zuerst auf
und ließen ihre Jungen zurück, damit die beim Fliegen und der Futtersuche Übung
bekamen und dann ihren eigenen Weg, ungeschickter und mit höherer
Sterblichkeitsrate, in die Überwinterungsgebiete fanden. Weniger als die Hälfte
derer, die im Herbst abflogen, kehrten im Frühling wieder zurück.
    Die Sick
Chelseas, eine Band aus St. Paul, die Walter einmal als Vorgruppe der
Traumatics gehört und so eingeschätzt hatte, dass sie es bestimmt kein weiteres
Jahr mehr machen würden, existierten noch immer und hatten es geschafft, das
FreiRaum-Event mit genügend Fans zu füllen, um sich von ihnen zum Hauptevent
in West Virginia voten zu lassen. Die einzigen anderen bekannten Gesichter in
der Menge waren Seth und Merrie Paulsen, Walters
ehemalige Nachbarn in der Barrier Street,
die dreißig Jahre älter aussahen als alle anderen außer Walter. Seth war sehr
von Lalitha angetan, musste sie immerzu ansehen; Merries Einwand, dass sie
müde sei, ließ er nicht gelten, sondern bestand auf einem späten Abendessen
nach dem Bandwettbewerb im Taste of Thailand.
Es wurde ein wahres Neugierfest, da Seth aus Walter Insiderinfos über die
inzwischen allseits bekannte Ehe von Joey und Connie, über Pattys Verbleib, über die genaue Geschichte von Walters und Lalithas
Beziehung und über die Hintergründe der verbalen Prügel herauspulte, die Walter
in der New York Times bezogen hatte («Mann, da hast du
aber schlecht ausgesehen»), während Merrie gähnte und ein resigniertes Gesicht
aufsetzte.
    Auf ihrer
sehr späten Rückfahrt ins Motel hatten Walter und Lalitha etwas, was einem
Streit nicht unähnlich war. Sie hatten geplant, sich in Minnesota ein paar
Tage freizunehmen, um der Barrier Street,
dem Namenlosen See und Hibbing einen Besuch abzustatten und zu klären, ob sie
nicht vielleicht Mitch ausfindig
machen könnten, doch Lalitha wollte umkehren und jetzt direkt nach West
Virginia. «Die Hälfte der Leute, die wir da vor Ort haben, sind selbsternannte
Anarchisten», sagte sie. «Und die heißen nicht umsonst so. Wir müssen sofort
hin und uns um die Logistik kümmern.»
    «Nein»,
sagte Walter. «St. Paul haben wir doch nur deshalb an den Schluss gelegt, damit
wir uns hier ein paar Tage freinehmen und ausruhen können. Willst du denn nicht
sehen, wo ich aufgewachsen bin?»
    «Doch,
natürlich. Das machen wir später.

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