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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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nicht, wie dieses Mädchen hieß, das ihren Namen hingegen ganz
genau zu kennen schien, denn auf dem Zettel stand ungefähr einhundertmal PATTY,
in krakeligen Cartoon-Buchstaben mit konzentrischen Bleistiftumrissen, die sie
wie durch die Sporthalle schallende Rufe aussehen ließen, so als ob eine wilde
Horde ihren Namen skandierte, was denkbar weit von der Wirklichkeit entfernt
war, denn die Sporthalle blieb für gewöhnlich zu neunzig Prozent leer, und
Patty war neu auf dem College und durchschnittlich weniger als zehn Minuten pro
Spiel auf dem Platz, also nicht gerade jemand, von dem alle sprachen. Die krakeligen
Bleistiftrufe füllten, abgesehen von einer kleinen Skizze einer dribbelnden
Spielerin, das ganze Blatt Papier. Patty war sofort klar, dass diese Spielerin
sie selbst sein sollte, weil sie ihre Nummer trug und außerdem auf einem
Zettel, der über und über mit dem Wort PATTY bedeckt war, wohl kaum jemand
anders gezeichnet worden sein konnte als sie. Wie alles, was Eliza tat (das sollte Patty bald genug begreifen), war die Skizze zur
Hälfte äußerst gekonnt und zur Hälfte unbeholfen und schlecht. Wie der Körper
der Spielerin dicht am Boden und extrem zur Seite geneigt war, weil sie gerade
eine jähe Kehrtwende machte, das war fabelhaft gelungen, aber Gesicht und Kopf
ähnelten einer schematischen Frauenabbildung in einer Erste-Hilfe-Broschüre.
    Während
sie auf das Blatt Papier sah, hatte Patty einen Vorgeschmack von jenem Gefühl
zu fallen, das sie ein paar Monate später haben sollte, nachdem sie mit Eliza Haschbrownies gegessen hatte. Jenem Gefühl von etwas Falschem und
Unheimlichem, gegen das sie sich jedoch kaum wehren konnte.
    «Danke für
die Zeichnung», sagte sie.
    «Warum
lassen sie dich nicht länger spielen?», sagte Eliza. «Du hast fast die ganze zweite Halbzeit auf der Bank gesessen.»
    «Als wir
erst mal klar in Führung lagen -»
    «Du
spielst hervorragend, und dann schicken sie dich auf die Bank? Das verstehe ich
nicht.» Elizas Locken
flatterten wie die Äste einer Weide bei schwerem Sturm; sie war ziemlich
aufgebracht.
    «Dawn, Cathy und Shawna waren viele Minuten auf dem Feld», sagte Patty. «Sie haben
die Führung doch sehr gut verteidigt.»
    «Aber du
bist so viel besser als sie!»
    «Ich muss jetzt unter die Dusche. Danke nochmal für die Zeichnung.»
    «Vielleicht
noch nicht dieses Jahr, aber spätestens im nächsten werden sich alle um dich
reißen», sagte Eliza. «Du wirst
Aufmerksamkeit erregen. Da lernst du dich besser jetzt schon mal schützen.»
    Das war
derart abwegig, dass Patty sich kurz noch die Zeit nahm, es richtigzustellen.
«Zu viel Aufmerksamkeit ist nun nicht gerade ein Problem, mit dem man im
Frauenbasketball zu kämpfen hat.»
    «Und was
ist mit Männern? Weißt du, wie du dich vor Männern schützt?»
    «Wie
meinst du das?»
    «Hast du
bei Männern ein gutes Urteilsvermögen?»
    «Im Moment
bleibt mir neben dem Sport kaum Zeit für irgendwas anderes.»
    «Du
scheinst gar nicht zu wissen, wie phantastisch du bist. Und was für Gefahren
das birgt.»
    «Ich weiß,
dass ich gut im Sport bin.»
    «Es ist
fast ein Wunder, dass dich bisher noch niemand ausgenutzt hat.»
    «Tja, ich
trinke nicht, das macht viel aus.»
    «Warum
trinkst du nicht?», hakte Eliza sofort
nach.
    «Weil ich
das nicht darf, wenn ich trainiere. Keinen Schluck.»
    «Trainierst
du denn an dreihundertfünfundsechzig Tagen im Jahr?»
    «Und
außerdem habe ich in der Highschool mal schlechte Erfahrungen mit Alkohol
gemacht, also insofern ...»
    «Was ist
passiert - bist du vergewaltigt worden?»
    Pattys Gesicht fing an zu glühen und nahm fünf verschiedene Ausdrücke
gleichzeitig an. «Mannomann», sagte sie.
    «Ja? Ist
es das, was passiert ist?»
    «Ich gehe
jetzt unter die Dusche.»
    «Siehst
du, genau das meine ich!», rief Eliza ganz
aufgeregt. «Du kennst mich überhaupt nicht, wir unterhalten uns hier gerade mal
zwei Minuten, und im Prinzip hast du mir gerade gesagt, dass du ein
Vergewaltigungsopfer bist. Du bist völlig schutzlos!»
    Patty war
in dem Moment zu erschrocken und zu beschämt, um die mangelhafte Logik dieser
Bemerkung zu erkennen. «Ich kann mich selbst beschützen, danke», sagte sie.
«Ich komme sehr gut zurecht.»
    «Klar. Na
schön.» Eliza zuckte mit
den Schultern. «Es geht um deine Sicherheit, nicht um meine.»
    Das dumpfe
Geräusch schwerer Schalter hallte von den Wänden wider, als reihenweise die
Oberlichter ausgingen.
    «Treibst
du auch Sport?», fragte Patty

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