Franzen, Jonathan
Tatsache, dass
Patty eigentlich Patrizia hieß, ein Name, den Joyce ihr gegeben hatte, damit
sie sich von anderen unterschied, und den Patty zu peinlich fand, um ihn je
laut zu sagen), und lieh ihr Gedichtbände von Denise Levertov und Frank O'Hara.
Nachdem die Basketballmannschaft die Saison mit einer Bilanz von acht Siegen,
elf Niederlagen und dem Ausscheiden aus einem Turnier nach der ersten Runde
beendet hatte (Pattys vierzehn
Punkten und ihren zahlreichen Korbvorlagen zum Trotz), brachte Eliza ihr außerdem bei, ausgesprochen gern Paul Masson Chablis zu trinken.
Was Eliza mit ihrer übrigen Freizeit anfing, lag ein wenig im Dunkeln.
Anscheinend gab es diverse «Männer» (d.h. Jungs) in ihrem Leben, und manchmal
erwähnte sie Konzerte, auf die sie gegangen war, aber wenn Patty an diesen
Konzerten Interesse bekundete, sagte Eliza, sie solle
sich erst mal all die Mixtapes anhören, die sie extra für sie aufgenommen habe;
und mit diesen Mixtapes hatte Patty so ihre Schwierigkeiten. Patti Smith, die
zu verstehen schien, wie ihr am Morgen nach der Vergewaltigung im Bad zumute
gewesen war, gefiel ihr gut, aber bei Velvet Underground
zum Beispiel bekam sie Einsamkeitsgefühle. Irgendwann gestand sie Eliza, ihre Lieblingsband seien die Eagles, und Eliza sagte: «Das ist doch völlig in Ordnung, die Eagles sind gut», aber
Eagles-Platten fanden sich ganz sicher nicht in Elizas Zimmer.
Elizas Eltern waren als Psychotherapeuten in den Twin Cities schwer im Geschäft und lebten etwas außerhalb in Wayzata, wo jeder
Geld hatte, und sie hatte einen älteren Bruder, der seit drei Jahren am Bard
College studierte und, wie sie sagte, «komisch» war. Auf Pattys Frage «Komisch in welcher Hinsicht?» antwortete Eliza: «In jeder.» Eliza selbst
hatte sich ihre Highschool-Bildung an drei verschiedenen örtlichen Schulen
zusammengeschustert und war an der Universität eingeschrieben, weil ihre Eltern
sich weigerten, sie zu unterstützen, sofern sie nicht
aufs College ging. Sie war eine andere Sorte Zweierkandidatin als Patty, die
in allen Fächern Zweien hatte. Eliza bekam in
Englisch immer eine Eins plus und ansonsten nur Vieren. Soweit bekannt, waren
ihre einzigen Interessen, neben Basketball, die Lyrik und der Müßiggang.
Eliza wollte unbedingt, dass Patty Gras probierte, aber Patty war extrem
besorgt um ihre Lunge, und so kam es zu der Sache mit den Brownies. Die beiden waren in Elizas VW-Käfer
zu dem Haus in Wayzata hinausgefahren, in dem sich viele afrikanische
Skulpturen, aber keine Eltern befanden, denn die waren auf einem
Wochenendkongress. Eigentlich hatten sie ein extravagantes Julia-Child-Menü
zubereiten wollen, aber daraus wurde nichts, weil sie zu viel Wein tranken, und
so aßen sie am Ende Cracker und Käse und buken die Brownies und konsumierten aller Wahrscheinlichkeit nach gewaltige Mengen
Drogen. Ein Teil von Patty dachte während der gesamten sechzehn Stunden
Durch-den-Wind-Seins: «Das mache ich nie wieder.» Ihr war, als hätte sie die
Trainingsregeln so gründlich gebrochen, dass sie nie mehr imstande sein würde,
sie zu kitten, und das bereitete ihr erhebliche Bauchschmerzen. Außerdem wurde
ihr auf einmal Elizas wegen
angst und bange - sie hatte das seltsame Gefühl, in sie verknallt zu sein,
weshalb es von höchster Wichtigkeit schien, regungslos dazusitzen, sich
zusammenzureißen und bloß nicht dahinterzusteigen, dass sie womöglich bisexuell
war. Eliza fragte sie immer wieder, wie es
ihr gehe, und sie antwortete immer wieder: «Sehr gut, danke», was sie beide
jedes Mal zum Totlachen fanden. Als sie jetzt Velvet Underground hörten, verstand Patty die Band viel besser; es war eine
ziemlich schmutzige Band, und ihre Schmutzigkeit
ähnelte auf beruhigende Weise dem, was sie selbst da draußen in Wayzata,
umgeben von afrikanischen Masken, fühlte. Umso erleichterter stellte sie, als
ihr Rausch langsam nachließ, fest, dass es ihr sogar im Rausch gelungen war,
sich zusammenzureißen, und dass auch Eliza sie nicht
berührt hatte: dass also nichts Lesbisches je zwischen ihnen vorfallen würde.
Patty war
neugierig auf Elizas Eltern und
wollte bleiben, bis sie zurückkamen, aber Eliza sagte, das sei überhaupt keine gute Idee, und ließ sich auch nicht
umstimmen. «Sie sind füreinander die ganz große Liebe», sagte sie. «Sie machen
alles zusammen. Sie haben identische Praxen auf derselben Büroetage, sie
schreiben alle ihre Aufsätze und Bücher gemeinsam, sie halten gemeinsame
Vorträge auf
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