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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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verkaufen und stattliche Summen in Südostasien investieren ließ.
August änderte sein Testament zuletzt auf dem Höhepunkt der asiatischen Börsenblase,
als es absolut gerecht erschien, die Kapitalanlagen den jüngeren Söhnen zu
vermachen und das Gut in New Jersey dafür Ray. Doch was das Instandsetzen
anging, war auf Edgar eben kein Verlass. Die asiatische Blase platzte prompt,
August starb kurz darauf, und Pattys zwei Onkel
erbten praktisch nichts, während das Gut sich dank neugebauter Highways und der
rasanten Erschließung von New Jerseys Nordwesten im Wert verdoppelte. Um die
moralischen Ansprüche seiner Brüder abzuwehren, blieb Ray nichts anderes übrig,
als am Besitz des Gutes festzuhalten und Edgar und Galina dort wohnen zu
lassen, was diese mit Freuden taten, da sie, nachdem auch Edgars eigene
Investitionen gefloppt hatten, bankrottgegangen waren. Das war der Moment, in
dem Galinas jüdische Seite zur Geltung kam. Sie machte sich die orthodoxen
Traditionen zu eigen, warf ihre Verhütungsmittel weg und verschlimmerte ihre
und Edgars finanzielle Not, indem sie einen Haufen Kinder in die Welt setzte.
Edgar begeisterte sich nicht stärker für das Judentum als irgendwer sonst in
der Familie, aber er war Galinas Geschöpf, seit ihrem Bankrott noch mehr als
zuvor, und machte um des lieben Friedens willen mit. Und, oh, wie sehr Abigail
und Veronica Galina hassten.
    Das war
die Situation, die Patty für ihre Mutter klären wollte. Sie schien dafür in
besonderer Weise geeignet, weil sie als einziges von Joyces Kindern bereit war,
sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen, und es bescherte ihr ein ganz
wunderbares und willkommenes Gefühl: dass Joyce sich glücklich schätzen
durfte, eine Tochter wie sie zu haben. Patty konnte dieses Gefühl ein paar Tage
lang genießen, bevor es zu der Einsicht gerann, dass sie im Grunde wieder in
ungute familiäre Muster hineingesogen wurde und einmal mehr mit ihren
Geschwistern konkurrierte. Schon als sie geholfen hatte, Ray zu pflegen, war
sie ein wenig unter Konkurrenzdruck geraten; aber niemand hatte ihr Recht in
Frage gestellt, bei ihm zu sein, und ihr Gewissen hinsichtlich ihrer Motive war
rein gewesen. Ein Abend mit Abigail allerdings reichte aus, um die Säfte des
Konkurrierens wieder ungehindert zum Fließen zu bringen.
    Während
der Zeit, in der sie mit einem großgewachsenen Mann in Jersey City
zusammengelebt hatte und nicht ganz so sehr wie eine mittelalte Hausfrau
aussehen wollte, die die falsche Ausfahrt von der Schnellstraße genommen hat,
war Patty losgegangen und hatte sich ein Paar ziemlich schicker hochhackiger
Stiefel gekauft, und es war womöglich die am wenigsten nette Seite von ihr, die
sie dazu veranlasste, ausgerechnet diese Stiefel zu tragen, als sie sich mit
ihrer kleinsten Schwester traf. Sie überragte Abigail, überragte sie wie ein
Erwachsener ein Kind, als sie von Abigails Wohnung in
das Cafe um die Ecke gingen, in dem ihre Schwester Stammgast war. Wie zum
Ausgleich für ihre kleine Statur fasste Abigail sich in ihrer Eröffnungsrede
lang - zwei Stunden lang - und erlaubte Patty, sich ein einigermaßen
vollständiges Bild von ihrem Leben zusammenzusetzen: der verheiratete Mann,
jetzt nur noch «Arschloch» genannt, auf den sie ihre zwölf besten Jahre der
Heiratsfähigkeit verschwendet hatte, indem sie darauf wartete, dass Arschlochs
Kinder mit der Schule fertig würden und er seine Frau verlassen könnte, was er
dann auch tat, aber für eine Jüngere als Abigail; die gewissen, heterosexuelle
Männer verachtenden Schwulen, an die sie sich gewandt hatte, weil sie bei ihnen
angenehmere männliche Gesellschaft zu finden hoffte; die beeindruckend große
Gruppe unterbeschäftigter Schauspieler, Dramatiker, Komiker und darstellender
Künstler, in der sie ein offenkundig gern gesehenes und freigebiges Mitglied
war; der Kreis von Freunden, die reihum Eintrittskarten zu den Auftritten und
Spendenaktionen der jeweils anderen kauften, wobei letztlich viel von dem Geld
aus Quellen wie Joyces Scheckheft floss; das weder
glamouröse noch großartige, dennoch bewundernswerte und für das Funktionieren
New Yorks maßgebliche Leben des Bohemiens. Patty freute sich aufrichtig zu
sehen, dass Abigail einen Platz in der Welt gefunden hatte. Erst als sie auf
einen «Digestif» in Abigails Wohnung
zurückkehrten und Patty die Sprache auf Edgar und Galina brachte, nahmen die
Dinge einen hässlichen Verlauf.
    «Warst du
schon im Kibbuz von New Jersey?», sagte

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