Franzen, Jonathan
geübte Wettkämpferin und dreieinhalb Jahre Ältere
(wenngleich sie dieser Schwester in der schulischen Laufbahn nur zwei Jahre
voraus war) irgendwelche Methoden entwickelt hätte, um mit solcher
demütigenden Albernheit fertigzuwerden. Aber irgendwie war Patty im Innersten
genuin wehrlos - der Mangel an Schwesterlichkeit aufseiten der Schwester
schockierte sie jedes Mal neu. Überdies war die Schwester wirklich kreativ und kam
auf alle möglichen unerwarteten Einfälle, um Patty sprachlos zu machen.
«Warum
redest du immer mit dieser bescheuerten Stimme?», lautete im Moment Pattys beste Verteidigung.
«Ich hab
dich doch bloß nach deinem Leben im guten alten Minn-e-soooo-tah gefragt.»
«Du gackerst, das ist
es. Es klingt wie Gackern.»
Das stieß
auf glitzeräugiges Schweigen. Dann: «Es ist das Land der zehntausend Seen!»
«Bitte
verzieh dich einfach.»
«Hast du
da drüben einen Freund?»
«Nein.»
«Etwa eine
Freund/«?»
«Nein. Obwohl es
da schon eine gibt, mit der ich mich richtig angefreundet habe.»
«Du meinst
die, die dir andauernd Briefe schreibt? Ist sie Sportlerin?»
«Nein.
Lyrikerin.»
«Mensch.»
Die Schwester schien eine Spur interessiert. «Und wie heißt sie?»
«Eliza.»
«Eliza
Doolittle. Dass sie eine Menge Briefe schreibt, steht fest. Und sie ist ganz
bestimmt nicht deine Freundin?»
«Sie ist
Schriftstellerin, kapiert? Eine richtig interessante Schriftstellerin.»
«Man
hört's halt in der Umkleide munkeln. Der Pilz, der sich nicht Pilz zu nennen
traut.»
«Bist du
ekelhaft», sagte Patty. «Sie ist mit ungefähr drei Typen gleichzeitig zusammen,
so angesagt ist sie.»
«Hirni-Town,
Minn-e-soooo-tah», lautete die Antwort ihrer Schwester. «Du musst mir unbedingt
eine Postkarte vom blauen Ochsen Babe aus
Brainerd-Hirni-Town schicken.» Dann zog sie ab und sang dabei mit viel Vibrato «l'm getting married in the mor-ning».
Im Herbst
darauf, als das nächste Semester angefangen hatte, lernte Patty einen Jungen
namens Carter kennen, der, in Ermangelung eines besseren Ausdrucks, ihr erster
Freund wurde. Heute scheint es der Autobiographin alles andere als Zufall zu
sein, dass sie ihn kennenlernte, unmittelbar nachdem sie Elizas dritte Regel befolgt und ihr erzählt hatte, jemand, den sie vom Sport
her kenne, einer aus dem zweiten Studienjahr, ein Mitglied der Ringermannschaft
übrigens, habe sie gefragt, ob sie mal mit ihm essen gehen würde. Eliza hatte
dem Ringer vorher auf den Zahn fühlen wollen, aber selbst Pattys Umgänglichkeit kannte Grenzen. «Er scheint wirklich nett zu sein»,
sagte sie.
«Tut mir
leid, aber was Männer angeht, bist du noch auf Bewährung», sagte Eliza. «Du
dachtest ja auch, dass der Kerl, der dich vergewaltigt hat, nett wäre.»
«Ich weiß
gar nicht, ob ich das so konkret gedacht habe. Ich fand es einfach aufregend,
dass er sich für mich interessiert hat.»
«Genau,
und hier ist wieder jemand, der sich für dich interessiert.»
«Ja, aber
diesmal bin ich nüchtern.»
Sie hatten
einen Kompromiss geschlossen, indem sie vereinbarten, Patty solle gleich nach
dem Essen zu Eliza kommen, in ihr Zimmer außerhalb des Campusgeländes (die
Belohnung ihrer Eltern dafür, dass sie den Sommer über gearbeitet hatte), und
wenn sie bis zehn Uhr nicht aufgetaucht wäre, würde Eliza sich auf den Weg machen
und nach dem Rechten sehen. Als Patty gegen halb zehn, nach einem nicht allzu
prickelnden Abend, besagtes Zimmer im obersten Stock betrat, traf sie Eliza
dort zusammen mit dem Jungen namens Carter an. Sie lagen jeder auf einer Seite
des Sofas, die bestrumpften Füße Sohle an Sohle über dem Mittelkissen, und
fuhren Fahrrad, ein Zeitvertreib, der geschwisterlich sein mochte oder auch
nicht. Auf Elizas Stereoanlage
lief das neue DEVO-Album.
Patty
blieb zögernd im Türrahmen stehen. «Vielleicht sollte ich euch zwei lieber
allein lassen?»
«Ach was,
nein nein nein nein nein, wir möchten, dass du bleibst», rief Eliza. «Das mit
Carter und mir ist eine ganz alte Geschichte, stimmt's?»
«Uralt»,
sagte Carter würdevoll und, wie Patty später dachte, leicht gereizt. Er schwang
sich herum und stellte die Füße auf den Boden.
«Ein
erloschener Vulkan», sagte Eliza, als sie aufsprang, um Patty und Carter
miteinander bekannt zu machen. Patty hatte ihre Freundin noch nie zusammen mit
einem Jungen gesehen und staunte, wie verändert ihre Persönlichkeit war - ihr
Gesicht war gerötet, sie verhaspelte sich beim Sprechen und gab ständig ein
leicht
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