Frau Bengtsson geht zum Teufel
er behaupten, dass der Text uns nur erklären soll, warum es so viele Sprachen und Kulturen auf der Erde gibt. Und schon sind wir wieder bei dem lutherischen Trend, Teile der Bibel einfach zu ignorieren. Sie können nicht richtig erklären, warum Gott so handelt, und schwupp geben sie den Autoren die Schuld. Manche sagen auch, dass die Geschichte von Babel uns zwar dazu auffordert, zusammenzuarbeiten und nach oben zu streben, aber dass wir dabei nie unsere wichtigste Aufgabe vergessen sollen, nämlich Gott zu ehren. Die geläufigste Interpretation – und meine auch, nebenbei bemerkt – sieht den Turm zu Babel als Symbol für den Hochmut der Menschen und ihren kindischen Größenwahn.«
»Das ist doch nur eine Seite der Geschichte. Ich glaube ja, dass die Menschen von ihrem Projekt so begeistert waren, dass sie vergaßen, was eigentlich zählt. Aber mal ehrlich … Das ist doch total kleinlich, wenn du mich fragst.«
Satan öffnete den Rakelmund und schloss ihn wieder. Eine Zustimmung wäre zu wenig Rakel und hätte Frau Bengtsson misstrauisch stimmen können. »Genau von der Seite muss man es betrachten. Es mag kleinlich scheinen, aber der Größenwahn der Menschen war sicher schlimmer. Der Zweck heiligt die Mittel.«
Frau Bengtsson schnaubte. »Von Gott hätte ich wahrhaftig eine klügere Lösung erwartet.« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Frustriert dich dieser ganze Kram eigentlich nie?«
»Warum sollte er?«
»Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll … Ich fühle mich so leer. Je mehr solcher Fehler ich an Gott entdecke, desto größer wird die Leere. Vor ein paar Tagen noch, das heißt eigentlich mein Leben lang, habe ich Trost, Freude und eine Art Liebe zu Gott gefühlt, dem geduldigen, weisen und gerechten Gott. Aber nun wird dieses Gefühl immer schwächer. Und zwar ausgerechnet, weil ich begonnen habe, das Buch zu lesen, das angeblich die Grundlage von allem ist. Das ist traurig.«
»Ich glaube, das habe ich nie so erlebt, weil ich mir nie Illusionen über Gott gemacht habe«, antwortete Satan.
»Aber du glaubst trotzdem an ihn?«
»Ja.«
»Liebst du ihn?«
Satans Engelsherz stand eine Sekunde lang still.
Es hatte eine Zeit gegeben, als er Gott von ganzem Herzen geliebt hatte. Und er musste zugeben, dass es eine schöne Zeit gewesen war. Eine ruhige und glückliche Zeit. Trotz des Hasses, den er nun in sich trug, war sie noch nicht ganz aus seinem Herzen verschwunden. Er log also nicht zu hundert Prozent, als er antwortete: »Ja.«
Aber Frau Bengtsson war nicht völlig blauäugig. Sie hörte den Zweifel, und der Anflug von Abscheu in Rakels Miene erhärtete ihren Verdacht, dass die Liebe zu Gott eine schwierige und vielleicht sogar gefährliche Angelegenheit war.
»Also, ich kann mir nicht helfen, aber diese ständige Idealisierung riecht nach Terrorismus. Du weißt ja, des einen Terrorist ist des anderen Freiheitskämpfer. Immer wenn Gott sich einmischt, geht es nur um den Zweck. Genau solche Rhetorik benutzen auch Terroristen. Und die Liebe und Güte und all die anderen schönen Dinge werden immer unwichtiger.«
»Glaub mir, ich weiß genau, was du meinst«, wollte der Teufel sagen, aber das tat er natürlich nicht. Stattdessen sagte er: »Aber echte Liebe heißt nicht, jemanden trotz seiner Fehler zu lieben, sondern auch seine Fehler zu lieben.«
»Jetzt hörst du dich wie ein Illustriertenratgeber an.«
Satan lachte hysterisch. »Wirklich? So was lese ich doch nie. Interessant.«
»Der Unterschied liegt auf der Hand: Wenn ich einen Menschen nicht mehr liebe, weil ich seine Fehler nicht mehr ertrage, fällt die Strafe ungleich milder aus. Ein Mensch kann einem nicht den Eintritt ins Paradies verwehren. Irgendwie wird die Liebe zwanghaft, sobald sie Gott betrifft. Das passt schlecht zu meinen Vorstellungen von Liebe, muss ich sagen.«
Nun antworteten Rakel und Satan gleichzeitig: »Aber eine Liebe, die so stark ist wie die echte Liebe zu Gott, ist von Natur aus zwanghaft. Nicht auf Befehl, sondern aus eigener Kraft.«
»Wie Frauen, die von ihren Männern misshandelt werden und trotzdem bei ihnen bleiben und sie sogar weiterhin lieben?«
»Gewissermaßen. Am Ende weiß man nicht mehr, ob man liebt, weil Gott es so will, oder ob die Liebe sich selbst trägt. Du hast den Teufel erwähnt. Um die Wahrheit zu sagen, er wollte sich nur von diesem Zwang befreien. Gottes Zwang, aber auch der innere Zwang. Er erkannte, dass die Euphorie eine Sucht geworden war … ›Komm,
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