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Frau Bengtsson geht zum Teufel

Frau Bengtsson geht zum Teufel

Titel: Frau Bengtsson geht zum Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline L. Jensen
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dir sind immer andere. Es wimmelt nur so von dicken, verschwitzten Touristen in diesen Pyramiden. Und heiß ist es. Na ja. Die Sphinx hat mich viel mehr beeindruckt. Sie war mystisch, aber sobald man sich umdrehte und den Pizza Hut ein paar Meter weiter sah, war alle Mystik verschwunden. Ich war ziemlich sauer. Aber am nächsten Tag im Museum! Wir liefen herum und hörten unserem Führer zu. Der Rosetta-Stein, die Revolution der abbildenden Kunst unter Echnaton, Tutanchamuns zartes Alter, als er an die Macht kam. Dann kamen wir in einen besonderen Raum.« Frau Bengtsson legte eine Kunstpause ein, trank Kaffee und zündete sich eine Zigarette an. »Es war ein großer Raum voller steril beleuchteter Glaskästen. In jedem Kasten lag der schmutzig braune, schrumpelige Überrest eines Menschen und wand sich im kalten Licht. Ich runzelte nur die Stirn über das erstarrte Grinsen der Mumien, die stramme, lederartige Haut auf den Schädeln und die starren, klauenartigen Finger. Aber dann, beim letzten Glaskasten, brach ich plötzlich zusammen.«
    »Du bist zusammengebrochen?«
    »Ja, ich brach in Tränen aus und wusste nicht, warum. Die Mumie in dem Kasten sah aus wie jede andere – ausgetrocknet, geschrumpft und kaum als Mensch zu erkennen –, aber bei ihrem Anblick überkam mich grenzenlose Trauer. Und dann heftige Liebe. Ich heulte wie blöd. Mein Mann fragte natürlich, was mit mir los war, aber in diesem Moment ging mir nur eins durch den Kopf, wieder und wieder, und das sagte ich dann.«
    »Was denn?« Satan war von ihrer Geschichte fasziniert.
    »Es war sehr merkwürdig und ziemlich peinlich, aber ich dachte die ganze Zeit: ›Wie unwürdig. Mein Vater und Geliebter, aus seiner majestätischen Ruhe gerissen.‹ Und dann musste ich noch mehr heulen.«
    »Heilige Scheiße«, sagte Satan.
    »Du sagst es. Aber richtig Gänsehaut bekam ich erst, als ich zum Namensschild kam.«
    »Und wer war es?«
    »Ramses der Zweite. Nofretetes Mann.«
    »Aber … war er ihr Mann
und
ihr Papa? Das hätte ich nicht gedacht.«
    »Ich habe später den Führer gefragt, er sagte, dass es ein korrekter Ausdruck sei. Der Pharao wurde als Vater des ganzen Landes angesehen, es war also nicht ungewöhnlich, ihn mit ›Vater und Geliebter‹ anzureden.«
    »Heilige Scheiße«, wiederholte Satan aufrichtig beeindruckt. Konnte es sein, dass Gottes Schöpfung Geheimnisse barg, die die Engel nicht kannten? Frau Bengtssons Geschichte hörte sich jedenfalls so an. Er war etwas beunruhigt.
    »Ja, wenn du wüsstest, wie peinlich das war, in aller Öffentlichkeit im Museum zu heulen, aber ich konnte nicht anders, ich war einfach entsetzt. Man hatte meinen Geliebten und Vater ausgegraben und zur Schau gestellt. Und ich fühlte leidenschaftliche Liebe, durch und durch, für den verdorrten Menschenrest, der da mit einem ewigen Grinsen auf den Lippen lag. Ich wollte die Vitrine einschlagen und ihn umarmen, zu seinen Füßen trauern und die steifen Hände küssen. Es war total verrückt. Mein Mann musste mich aus dem Raum schleppen, meine Beine zitterten, ich konnte kaum laufen.«
    »Wie wunderbar verwunderlich«, rief der Teufel. Selbst für ihn und seinesgleichen gab das Leben noch Rätsel auf.
    »Ja, verwunderlich und verrückt. Ich kriege Gänsehaut, wenn ich nur darüber rede, schau!« Sie hob den Unterarm und deutete auf die zarten Härchen, die sich sträubten. »Sogar jetzt spüre ich diese Trauer und diese Liebe. Sie ruht unter der Oberfläche und wartet darauf, dass ich ihr freien Lauf lasse. Das ist total unheimlich, aber irgendwie auch klar. Aus diesem Grund habe ich mich für Bastet entschieden.«
    Rakelsatan lachte. »Ja, jetzt verstehe ich, es war eine natürliche Wahl. Bist du der Sache nie näher auf den Grund gegangen?«
    »Nein, ich habe mich nicht getraut. Aus verschiedenen Gründen. Erstens fand mein Mann – und, ich denke mal, die meisten anderen auch –, dass ich völlig durchgeknallt war, und zweitens habe ich so meine Probleme mit der Reinkarnation. Nicht mit dem Phänomen an sich, aber ich ärgere mich über Leute, die behaupten, sie seien die Reinkarnation irgendwelcher berühmten Personen. Wenn die alle recht hätten, wie viele Marie-Antoinettes hätte es dann gegeben? Glaubt man dann selbst, man sei Nofretete gewesen, ist das irgendwie lächerlich. Plötzlich war ich selbst so ein Narr, den alle auslachten. Außerdem weiß ich nicht, ob ich noch einmal solche Trauer ertragen kann, und dazu könnte es ja kommen, wenn ich tiefer

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