Frau Ella
Lokal wusste anscheinend keiner mehr, was er sagen sollte. Frau Ella suchte nach einer Bemerkung, irgendetwas, damit die beiden sich wieder verstanden, damit das Schweigen ein Ende hatte.
»Wie wär’s mit Champagner zur Begrüßung der verlorenen Tochter?«, fragte Klaus.
»Also für mich sehr gerne«, sagte Frau Ella. Auf Klaus konnte sie sich verlassen.
Frau Ella hatte ihr zweites Glas Champagner in der Hand, und auch das Essen war mittlerweile bestellt, als sie endlich sicher war, dass Sascha und Lina sich vorsichtig näherkamen. Zumindest redeten sie miteinander. Auch die anderen beiden schienen sich gut zu unterhalten, so dass sie endlich ein bisschen Ruhe hatte. Der Champagner tat ihr gut. Die Waden schmerzten nicht mehr, und sogar ihr Rücken hatte aufgehört, gegen die unnötig hohen Lehnen der Stühle zu rebellieren. Sie würde Sascha dabei helfen, seine Lina zurückzuerobern. Was auch immer er angestellt hatte, so schlimm konnte es ja nicht gewesen sein. Schließlich setzte Lina sich ja noch zu ihm an den Tisch. Dann könnte sie auch mit gutem Gewissen zurück in ihre eigene Wohnung, wenn das Mädchen sich um seinen Haushalt kümmern würde, auch wenn ihr bestimmt noch Erfahrung fehlte. Aber das ließe sich alles regeln. Sie würde gerne helfen, mit Rat und Tat, nach allem, was Sascha für sie getan hatte. So war das also, wenn man Kinder oder sogar Enkelkinder hatte, dachte sie und nippte noch einmal an ihrem Glas. Mit der Ruhe war es dann vorbei, aber dafür erlebte man doch eine Menge, und man erinnerte sich plötzlich. Das war überhaupt das Seltsamste, dass sie so viel erlebte und sich gleichzeitig an früher erinnerte. Ihr sollte das recht sein, wenn nur ihre Pflanzen nicht eingingen! So weit wollte sie es dann doch nicht kommen lassen.
»Ich bin gleich wieder da«, riss Sascha sie aus ihren Gedanken und stand auf. Irgendetwas stimmte anscheinend wirklich nicht mit seinem Verband. Dabei hatte Ute ihren so gut gemacht.
»Beeil dich. Die Antis kommen gleich«, sagte Klaus.
»Wer kommt gleich?«, fragte Frau Ella.
»Die Antipasti, das heißt die Vorspeise«, sagte Ute.
»Warum sagt er denn dann nicht Vorspeise?«
»Das ist Italienisch.«
»Aha«, sagte Frau Ella. »Eine Sprache scheint heute wirklich nicht mehr zu reichen.«
»Ach, Frau Ella«, grinste Klaus, der sie so übertrieben anhimmelte, als wollte er sie schon wieder auf den Arm nehmen.
»Ich muss auch noch mal schnell«, sagte Lina, stand auf und ging ebenfalls in Richtung der Toiletten. Jetzt wollte Frau Ella doch wissen, was genau hier vor sich ging.
»Sagen Sie, Ute«, setzte sie an. »Was ist denn das für eine Sache mit diesem hübschen Mädchen und Sascha?«
»Wenn wir das wüssten!«, seufzte Ute.
»Wie gesagt«, meinte Klaus. »Zwei Bekloppte, Verdurstende in der Wüste, die sich gegenseitig ihr Blut aussaugen, keine gute Mischung jedenfalls, und genau das müssen die beiden jetzt endlich klären.«
»Also, ich finde sie ja sehr sympathisch«, sagte Frau Ella, die beim besten Willen nicht verstand, was Klaus und Ute nur hatten. Vielleicht waren sie eifersüchtig, da sie selbst nur wegen der Steuer verheiratet waren, weil es auch bei ihnen mit der großen Liebe nicht geklappt hatte.
»Ja, klar«, sagte Klaus. »Und mit schönem Balkon zur Straße hin.«
»Mann, Klaus«, sagte Ute.
»Da kann man drauf frühstücken.«
»Es reicht.«
»Und eine klitzekleine Terrasse zum Garten.«
»Hör bitte auf!«
»Und wir kennen das Haus nur von außen, mit zugezogenen Gardinen.«
»Ja, wirklich«, ging Frau Ella dazwischen. »Ein hübsches Mädchen, und so höflich.«
Jetzt fingen auch noch Ute und Klaus an zu streiten! War sie hier denn die einzig Vernünftige? Dabei war sie doch die Fremde, die sich zurechtfinden musste. Anscheinend konnten diese jungen Menschen sich überhaupt nicht mehr zusammenreißen. Wie kleine Kinder.
Sie warteten schweigend auf diese Vorspeisen, auf Sascha und auf Lina. Erst einmal trat aber wieder ein Kellner an ihren Tisch, fragte Klaus etwas, das Frau Ella nicht verstand, und reichte ihm eine Speisekarte. Kaum hatte Klaus diese aufgeschlagen, verzog er sein Gesicht zu einer Grimasse, aus der Frau Ella nicht schlau wurde. Als spielte er einen besonders seriösen Erwachsenen.
»Ich vermute, der Barolo ist nicht allzu subtil in der Frucht?«
»Durchaus richtig. Ein ganz spannender Wein ist das, ein Direktimport von einem absolut biologischen Winzer, der herrlich mit kleinen Barrique-Zitaten zu
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