Frau Paula Trousseau
die Besuche des gutaussehenden Schuldirektors mit dem vornehm graumelierten Haar stolz war. Die ganze Stadt wusste darüber Bescheid, und auf dem Schulhof hatten die beiden Mädchen bissige und gehässige Bemerkungen zu ertragen.
Die Mädchen hörten, wie ihre Mutter auf die Toilette ging und sich einschloss. Cornelia öffnete die Tür, beide schlichen auf den Flur. Von oben, aus dem Zimmer des Bruders, tönte laute Musik, in der Toilette hörten sie ihre Mutter sich erbrechen.
Cornelia griff nach ihrem Mantel und eilte, ohne ihn anzuziehen, auf Zehenspitzen zur Wohnungstür, öffnete sie vorsichtig und zog sie lautlos hinter sich zu.
Paula stand einen Moment ratlos auf dem Flur. Schließlich nahm sie aus dem Kinderzimmer ihre Puppe mit den langen blonden Haaren und ging wieder in den Flur, nahm den Mantel vom Garderobenhaken und verschwand ebenfalls lautlos aus der Wohnung. Unentschlossen lief sie in die Stadt zurück, wobei sie nach ihrer Schwester Ausschau hielt. Sie hoffte, sie zu finden, fürchtete sich aber gleichzeitig davor, von ihr angeschnauzt und weggeschickt zu werden.
13.
Mehr als drei Wochen lang hatte ich damals im Sommer überlegt, ob ich das Kind abtreiben lasse. Anfangs war ich wild entschlossen, um Hans und Vater zu bestrafen, aber irgendwann wurde ich ruhig. Irgendwann kam mir das in mir heranwachsende Etwas wie ein Abenteuer vor, das ich bestehen wollte. Ich würde ein Kind bekommen und die Kunsthochschule trotzdem nicht aufgeben, ich würde studieren und nebenbei mein Kind großziehen. Von da an war alles klar. Ich rief in der Hochschule an und ließ mir einen Termin beim Rektor geben, denn ich wusste nicht, was man in der Hochschule zu einer schwangeren Studentin sagt und ob sie mir helfen würden. Auf der Fahrt nach Berlin quälte mich die Angst, und als ich vor dem Rektoratszimmer stand, glaubte ich, man würde mich auslachen oder beschimpfen, denn in der Prüfung hatten mir die Professoren gesagt, dass sie von denjenigen, die sie aufnehmen, eine absolute Hingabe an das Studium erwarten. Ich fürchtete, eine Studentin mit einem kleinen Kind würden die Professoren nicht akzeptieren, und öffnete ängstlich die Tür. Doch dann kam alles ganz anders.
Ich sei nicht die einzige schwangere Studentin an der Kunsthochschule, aber ich sei, wie mir Professor Tschäkel sagte, seit Menschengedenken die erste Studentin, die hochschwanger ihr Studium beginne.
Tschäkel war sehr zuvorkommend, er machte sogar seine Zigarette aus und sagte, das sei nun einmal die Art, wie sich Menschen vermehren würden, und ich solle mir keine Gedanken machen. Ich müsste vermutlich etwas mehr als die anderen Studenten arbeiten, denn das Kind dürfe nicht unter dem Studium leiden, aber das Studium auch nicht unter dem Kind, doch er würde dafür sorgen, dass man Rücksicht auf mich nehme, und er sei sicher, meineKommilitonen und ganz besonders die anderen Mädchen würden mir helfen.
Tschäkel war geradezu begeistert und sagte, ein Baby sei kein Problem, in seinem Atelier habe er manchmal drei. Wenn seine Studentinnen ihrem Baby die Brust gäben, dann lasse er sofort alles fallen, setze sich vor das Mädchen und strichle einen halben Zeichenblock voll. Er versprach mir, dass die Hochschule mich unterstützen werde, und sagte, ich solle mich auf mein Baby freuen, etwas Schöneres gebe es nicht auf der Welt, mit einem Neugeborenen könne selbst die Kunst nicht mithalten.
»Wir werden unser Kind schon großziehen«, erklärte er zum Abschied.
Er stand von seinem Schreibtischsessel auf und begleitete mich an die Tür. Unvermutet legte er seine Hand auf meinen Bauch, strahlte mich an und sagte: »Ich freue mich, Paula, ich freue mich darauf, wenn Sie mit einem dicken Bauch zu uns kommen. Ich liebe schwangere Frauen. Schwangere Frauen sind für mich das Erotischste überhaupt. Ich habe es nie verstanden, wieso die Gesellschaft die Schwangeren versteckt. Schauen Sie sich nur die Mode an, der schöne Bauch mit dem Kind wird mit Falten verhüllt und unter gewaltigen Röcken verborgen, geradeso als ob es eine Schande wäre, ein Baby zu bekommen, dabei sind es für mich die allerschönsten Frauen. Ich freue mich schon heute darauf, Sie hochschwanger an meiner Schule zu sehen, Paula.«
Er küsste mich auf beide Wangen und hielt mir dann die Tür auf. Ich ging zum Bahnhof, ich rannte sogar, obwohl ich viel Zeit bis zur Abfahrt des Zuges hatte, ich hüpfte vor Vergnügen. Jetzt hatte ich überhaupt keine Angst mehr.
Ich fuhr
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