Frauen al dente. (German Edition)
Licht ins Wohnzimmer hinein ließ. Es sah beinahe so aus, als habe jemand vergessen, im Kinderzimmer das Licht auszuknipsen.
Zögernd legte Marlen die Hand auf die Klinke. Dann holte sie tief Luft und stieß entschlossen die Tür auf.
Durch die staubbedeckten Fensterscheiben schien die Sonne herein. Niemand hatte daran gedacht, die Vorhänge vorzuziehen, damit die Tapeten und Möbel nicht vergilbten. Wozu auch? Niemanden kümmerte es mehr.
Wie liebevoll Resi das Zimmer eingerichtet hatte. Benjamin-Blümchen-Tapeten an den Wänden, bunte Webteppiche auf dem Boden. Marlen erschrak, als sie auf einem Hochstuhl eine Stoffpuppe in Kleinkindgröße entdeckte. Als habe jemand ein Geschwisterkind von Lisa dort vergessen. Am eintürigen Kleiderschrank aus echtem Kiefernholz prangten zwei leuchtendbunte Hampelmänner mit runden Kugelaugen, die Marlen durch den Raum zu folgen schienen. Marlen öffnete die Schranktür und war froh, ihnen dadurch zu entgehen. Die Fächer waren bis obenhin mit Baby-Kleidung in allen Größen angefüllt. Resi mußte Monate gebraucht haben, sie anzusammeln. Oder vielleicht auch nicht. Marlen erinnerte sich, mit wieviel Freude sie selbst durch die Geschäfte gezogen war, um für Lisa passende Wäsche zu finden. Wenn man über das nötige Kleingeld verfügte, war es wirklich kein Problem, ein Kind hübsch einzukleiden. Marlen packte alles in die Taschen, die Bode ihr gegeben hatte. Mit jedem Stück, das sie in Händen hielt, fühlte sie sich Resi enger verbunden. Was hatte sie in ihrem Brief geschrieben? Lisa war kein Wunschkind, mehr ein Mißgeschick. Nun, wenn jedes Mißgeschick so wie Lisa geliebt würde, sollten nur noch Mißgeschicke geboren werden.
Ob Resi Zukunftspläne für Lisa geschmiedet hatte? Bestimmt. Die Schulausbildung war vorprogrammiert. Grundschule, und wenn Lisa die nötigen Voraussetzungen erfüllte, natürlich Gymnasium. Möglichst ein konfessionelles oder gar ein privates. Mit individueller Förderung statt notenmäßiger Gleichmacherei. Und danach das Studium. Mit mindestens einem Jahr Auslandsaufenthalt. Wer heutzutage nicht bereits bei der Ausbildung über den eigenen Tellerrand blickte, war auf dem Arbeitsmarkt verloren.
Daheim in Düsseldorf würde Marlen sich als erstes nach vernünftigen Schulen erkundigen. Andererseits besaß Lisa auch noch keinen Kindergartenplatz. Wie war das eigentlich mit dem Rechtsanspruch? Sie würde gleich einmal Bode fragen. Als Anwalt mußte er doch Bescheid wissen. Aber … Vielleicht sollte sie das Hella überlassen. Hella würde sich diese Aufgabe bestimmt nicht gerne nehmen lassen. Und bestimmt war es ihr gegenüber auch nicht fair, sich in ihre Entscheidungen einzumischen.
Verwirrt ließ Marlen sich in den einzigen Sessel im Zimmer fallen. Gefühlschaos total. Verflixt, was sollte sie bloß tun? Wieso waren plötzlich alle um sie herum so versessen darauf, ihr Leben zugunsten eines Winzlings auf den Kopf zu stellen? War sie denn als einzige immun gegen den Baby-Virus? Oder machte sie sich selbst nur etwas vor? War sie infiziert, ohne es zu ahnen? Oder ohne es sich einzugestehen?
Babypower contra Frauenpower. Marlen beschlich die ungute Ahnung, daß der Kampf mit ungleichen Mitteln ausgetragen wurde.
»Alles in Ordnung mit Ihnen?« Martin Bode streckte seinen Kopf zur Tür herein. Mit einer Packung Butterkekse und einer Flasche Mineralwasser in der Hand setzte er sich neben Marlen auf einen der kindgerechten Webteppiche, die den Boden zierten. Dankbar fischte sie sich einen Keks aus der Packung. Das Frühstück lag Stunden zurück, und ihr Magenknurren konnte Tote zum Leben erwecken.
Wieder erschauderte sie, als ihr der makabre Doppelsinn ihrer Gedanken auffiel.
Bode bemerkte es. »Nicht angenehm, in den Sachen von Verstorbenen zu wühlen, nicht wahr? Besonders wenn es sich um eine Freundin handelt, wie bei Ihnen. Ich kenn' das Gefühl. Im vergangenen Jahr habe ich die Wohnung meiner Eltern aufgelöst. Sie sind kurz nacheinander gestorben – wie das manchmal halt so ist bei alten Ehepaaren …« Er schwieg nachdenklich. Marlen betrachtete ihn überrascht. Ein dunkler Schatten der Trauer legte sich über sein Gesicht, was seine Züge um einiges weicher machte. Nur ein winziger Wangenmuskel verriet Anspannung. Eigentlich sah er gar nicht so übel aus. Auch wenn er nicht die kantig-männliche Schönheit ihres Highlanders Peer Sanders besaß. Bode war mehr der Typ treuherziger Plüschhund. Der Mann zum Seelewärmen. Der an kalten
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