Frauen fragen Feuerstein
verzichtet auf Bilder einer Traumwelt: die alten, noch von keinem Restaurator berührten Ruinen mitten im Dschungel, die zu steinernen Mythen wurden, gepfählt und aufgefressen von jahrhundertealten Bäumen. Vielleicht haben Sie sie sogar schon gesehen, ohne es zu wissen: Viele Szenen des Filmes » Tomb Raiders « wurden an einem dieser Orte gedreht. Aber statt Lara Croft begegnet man heute nur noch einem Häuflein zerlumpter Musiker, die einen schnell aus der Fantasie in die raue Wirklichkeit zurückholen: Männer mit Arm- und Beinstümpfen, Minenopfer in der Hoffnung auf einen Touristendollar. Denn die Landminen der Roten Khmer sind auch heute noch das größte Sicherheitsproblem von Kambodscha, Drei Millionen sollen noch unentschärft im Urwald liegen.
Diesmal war ich nur zum Umsteigen in Siem Reap, einer derzeit buchstäblich aus allen Nähten krachenden Touristenmetropole, deren Namen für jeden Thailänder ein Reizwort ist, denn er bedeutet »befreites Siam«, ein Hinweis auf die Zeit, als diese Gegend noch zu Thailand gehörte. Tut es übrigens fast schon wieder: Jedes zweite Hotel ist fest in thailändischer Hand.
In der Theorie hatte ich eine Stunde Zeit für den Anschluss nach Phnom Penh, der Hauptstadt Kambodschas, aber dann wurde doch ein Kampf um die Minuten daraus, Denn man kann sein Gepäck nicht durchchecken, und wenn man außerdem, wie ich, beim Abflug mit falschen Formularen versorgt wurde, gibt es hektischen Schreibkram und Hintanstellen als Letzter an den einzelnen Schaltern, bis man endlich die Passkontrolle bewältigt hat, gefolgt vom Hürdenlauf zum Inlandsschalter, neuerlichem Einchecken und Endspurt mit fliegendem Atem... um dann zu erfahren, dass der Anschlussflug eine Stunde Verspätung hat. Aber bitteschön: Wer jetzt über Asien meckert, hat vergessen, was in Frankfurt los ist, wenn dort die erste Schneeflocke fällt.
Auch Kambodscha bietet das Touristenvisum bei der Ankunft an, sogar schon ein paar Jahre länger als Laos, und mit 20 Dollar um ein Drittel billiger noch dazu. Dafür aber um zwei Drittel unfreundlicher: Die Tante an der Passkontrolle war richtig giftig zu mir, wollte alle weiteren Flugtickets sehen und sogar die Bargeldbestände, unbeeindruckt von meinem Millionenlächeln. Vermutlich, weil ich als Berufsangabe » actor « geschrieben hatte, und wer lässt schon gern Bühnengesindel in sein Land. Aber der Berufsstand » writer « oder gar » journalist « wäre in diesen Ländern eine grobe Dummheit, außer man steht auf längere Verhöre mit der Aussicht, gleich wieder umkehren zu müssen.
»Sie hatte schlechten Sex«, sagte der Agent der Fluglinie, der mich auf der Rennstrecke begleitet hatte, weil ich der einzige Umsteiger war und deshalb nicht verloren gehen durfte. Wie schön, dass es eine so einfache Erklärung gibt, denn auf diese Weise wusste ich schon mal das Wichtigste: Kambodscha ist noch ein viel heftigeres Machoreich als Thailand.
Die Wartezeit auf den Anschlussflug wurde angenehm verkürzt durch die Begegnung mit einem alten Bekannten, den ich wie alle alten Bekannten zunächst mal nicht wiedererkannte, weil ich an einer milden Form von »Gesichtsverlust« leide, einer Schwäche im Wiedererkennen anderer, was neuerdings endlich als Krankheit erkannt wurde, sodass ich jetzt wenigstens eine Ausrede habe. Da stand doch tatsächlich Stephan Rahn vor mir, ein Pianist, mit dem ich Vorjahren in Koblenz (»Hach, wie klein ist doch die Welt !« ) eine gemeinsame Konzertveranstaltung hatte. Seine Antwort auf meine nahe liegende Frage: »Was machen Sie denn hier ?« — Eine dreimonatige Gastdozentur an der Musikhochschule des Landes, freiwillig und unbezahlt, organisiert von einer deutschen Kulturstiftung, deren Mitgliedsantrag 9 er mir sofort überreichte. Und so verging nicht nur die Zeit, sondern auch der Flug wie im Flug.
Phnom Penh, einst mit dem Beinamen »Perle Asiens«, ist ein Müllhaufen von einer Stadt, und ich meine das wörtlich. Wenn in einer Tropenmetropole von weit über zwei Millionen Einwohnern die Müllabfuhr fehlt, versinkt jeder Anflug von Charme im Unrat, Vielleicht liegt es daran, dass die Stadt auch heute noch »niemandem gehört«: Als der mörderische Pol-Pot-Spuk 1979 zu Ende war, stand Phnom Penh leer, so gut wie alleEinwohner waren verschleppt, getötet oder geflohen. Wer zurückzukommen wagte, konnte in Besitz nehmen, was immer er wollte, und dieser rechtsunsichere Zustand ist bis heute geblieben. Die persönliche Verantwortung endet
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