Frauen lügen
Valerie ist von allein hinter dessen Identität gekommen, überlegt Silja. Wahrscheinlicher ist es aber, dass die Mutter anlässlich der Volljährigkeit ihrer Tochter den Schleier gelüftet hat.
Enttäuschung macht sich in Silja breit. Zu gern hätte sie den Kollegen ein Schnippchen geschlagen und sich ebenfalls im Alleingang auf eine neue Spur gesetzt. Der Vollständigkeit halber sucht sie nach allen weiteren Informationen, die interne Quellen über diese Eva Simons bieten können. Doch als sie gerade die Halterschaft für deren PKW überprüfen will, kommt die Mail von der Hamburger Kripo mit dem Log-in-Code für die Überwachungsbänder des Hotelfoyers herein, und Silja unterbricht die Suche.
Neugierig kontrolliert sie die Bänder aus dem Design-Hotel
Hampton
. Wie nicht anders zu erwarten, ist die Schauspielerin Marie Nussbaum mehrmals im Focus der Kamera. Stets ist es früher Nachmittag und wahrscheinlich sucht sie das gemietete Hotelzimmer auf, um sich vor einer Vorstellung zu entspannen. Interessant ist allerdings, dass die Schauspielerin das Foyer ab und an in Begleitung einer etwa gleichaltrigen Dame betritt, die der Kommissarin bekannt vorkommt. Silja kopiert eine Aufnahme der Frau und startet eine vergleichende Bildersuche im Netz. Das Ergebnis lässt sie triumphieren. Es handelt sich bei der Begleiterin tatsächlich um Antonia Dornfeldt. Siljas Hypothese, dass die Verbindung zwischen den beiden Schulfreundinnen nicht abgerissen ist, hat sich damit als wahr erwiesen. Der merkwürdige Weg des Nussbaum’schen Handys von der Parkbank neben dem Hotel bis in die Handtasche von Susanne Michelsen wird sich mit diesem Wissen wahrscheinlich klären lassen. Silja nimmt einen Block zur Hand, schreibt mit großen Buchstaben HANDYKETTE auf die erste Seite und skizziert mit wenigen Strichen eine Übergabefolge: Marie Nussbaum – Antonia Dornfeldt – Jonas Michelsen – Haushälterin – Susanne Michelsen.
Bleibt nur die Frage nach den Motiven für die jeweilige Weitergabe des Handys. Und die viel interessantere Frage, welcher Art die Verbindung der beiden Damen Nussbaum und Dornfeldt wohl sein mag. Wären sie nur alte Freundinnen, gäbe es wohl kaum Anlass zum Erwerb eines geheimen Prepaid-Handys.
Silja sieht die Aufnahmen noch einmal gründlich durch. Die beiden Frauen fassen sich nie an, kommen manchmal miteinander, häufiger aber kurz nacheinander ins Foyer. Der Concierge scheint beide zu kennen, auch wenn es immer nur Marie Nussbaum ist, die den Zimmerschlüssel holt. Wenn Antonia Dornfeldt das Hotel allein betritt, nickt sie dem Personal hinter dem Empfangstresen kurz zu und geht direkt zum Fahrstuhl. Vielleicht hat Jonas Michelsen, der ja immerhin der Besitzer des Hotels ist, hier auch eine Suite, und die beiden treffen sich dort zu heimlichen Schäferstündchen, überlegt Silja. Doch dann entdeckt sie ein interessantes Detail im Hintergrund einer Aufnahme. Die Schauspielerin Marie Nussbaum hat das Hotel allein betreten, den Schlüssel geholt und ist gerade in den Lift gestiegen. Noch hat sich dessen Tür nicht geschlossen, als von links Antonia Dornfeldt ins Bild tritt, schnell mit in den Fahrstuhl huscht und in einer sehr vertraut wirkenden Weise den Arm um die Hüfte der Nussbaum legt.
Silja stutzt. Freundinnen legen sich nicht die Arme um die Hüfte. Vielleicht um die Schultern. Oder sie tauschen Küsse. Aber die Hüfte ist tabu. Die Hüfte ist eindeutig sexuelles Gebiet. Es gibt nur eine Erklärung für diesen Ausreißer: Marie Nussbaum und Antonia Dornfeldt haben ein lesbisches Verhältnis.
Als Silja gerade in Ruhe darüber nachdenken will, was diese Erkenntnis für die Ermittlungen bedeuten kann, wird die Bürotür von außen aufgerissen. Bastian und Sven stürmen herein, ihre Gesichter glühen vor Begeisterung.
»Rate, wer unten neben der Dornfeldt in der zweiten Zelle sitzt«, ruft ihr Sven triumphierend zu, ohne ihre Antwort abzuwarten. »Der saubere Bruder ist es, dieser Hotelmanager, wir haben ihn gerade aus seinem Büro geholt. Er war am Tatort, hat dort leider, leider eine Kleinigkeit verloren, und jetzt ist er dran.«
»Der hat mit seiner habgierigen Schwester gemeinsame Sache gemacht und erst die Ehefrau und dann den Hotelier umgelegt«, fügt Bastian an.
»Ist ja super, dass ich das auch erfahre«, gibt Silja zickig zurück.
»Stell dich nicht so an, Mädchen, wir teilen den Ruhm natürlich.« Bastians Stimme trieft vor Selbstzufriedenheit.
»Oh, sehr großzügig von euch, vielen
Weitere Kostenlose Bücher