Frauen lügen
Ermittlungen widmet, anstatt sich von zweifelhaften Gefühlen überwältigen zu lassen. Schließlich gibt es eine konkrete Aufgabe.
Silja zückt ihr Handy und sucht nach der Rufnummernweiterleitung. Da. Sven hat die Nummer des Notars vom Festnetz aus an Bastian geschickt und dieser hat sie Silja übermittelt. Sie stellt eine Verbindung her und landet bei einer näselnden Vorzimmerdame. Herr Dr. Erlenkamp habe zu tun. Silja senkt ihre ohnehin schon kühle Stimme noch einige Grade bis kurz vor die Eisfachgrenze. Sie erwarte den Rückruf des Notars im Kommissariat zügig. Ob sie das Wort
zügig
noch präzisieren müsse, erkundigt sie sich überflüssigerweise. Ihre Worte sind hart und kalt wie Hagelkörner und schlagen ohne Zweifel ansehnliche Dellen in das Selbstbewusstsein der Vorzimmerdame. Irgendwo muss Siljas aufgestaute Wut schließlich hin. Und die Frage, ob Jonas Michelsen tatsächlich eine leibliche Tochter hatte, muss sofort geklärt werden.
Zehn Sekunden später ist der Rückruf da. Dr. Erlenkamp hat eine Stimme wie Samt und entschuldigt sich sogar für seine Angestellte. Auskunftsfreudig ist er aber nicht. Es gäbe da so etwas wie ein Standesgeheimnis, das könne sie doch sicher verstehen. Silja bemüht noch einmal ihre Eisblock-Stimme und informiert den Herrn Doktor davon, dass sein Klient am Vormittag leider Opfer einer Mordtat geworden sei. Man habe ihm aus nächster Nähe ins Herz geschossen. Sie, Silja Blanck, sei die ermittelnde Kommissarin und in dieser Eigenschaft gehe sie davon aus, dass der Herr Doktor ihr umgehend die gewünschte Information zukommen lassen werde.
Drei Minuten später weiß Silja alles, was der Notar auch weiß.
Donnerstag, 25 . August, 11.16 Uhr,
Siedlung Am Torbogen, Rantum
Nie hätte ich gedacht, dass ich mit diesem Journalisten so leichtes Spiel haben würde. Der hat mir ja fast schon die Arme entgegengestreckt, als ich die Handschellen aus der Tasche gezogen habe. Und jetzt liegt er hier vor mir auf dem Teppich. Wehrlos. Guckt mich mit glasigen Augen an, dabei hieß es überall, er sei mittlerweile trocken. Na ja, mir soll’s egal sein, solange er sich noch an seine Zeit mit dieser Schlampe Susanne erinnert. Ich will wissen, was sie über mich geredet hat, ich will wissen, wie Jonas über mich gedacht hat. Ich weiß, dass ich sterben werde, dies hier ist nicht zu überleben, aber ich will möglichst viele von diesen Schweinen, die mir mein Leben versaut haben, in den Tod mitnehmen. Und vorher will ich sie befragen. Ich werde ganz bestimmt nicht sterben, ohne zu erfahren, warum das alles so gekommen ist.
Donnerstag, 25 . August, 11.17 Uhr,
Kriminalkommissariat Westerland
Nachdem Silja den Notar Jonas Michelsens aus der Telefonleitung gedrückt hat, fasst sie in einer kurzen Notiz alle Informationen zusammen, die der Anwalt ihr mitteilen konnte.
Die Tochter des Hoteliers heißt Valerie Simons, ist vor neunzehn Jahren in Hamburg unehelich geboren worden und hat erst vor wenigen Monaten Kontakt zu ihrem Erzeuger aufgenommen. Es hat einige Treffen gegeben, und in Jonas Michelsens neuem Testament, dessen Abfassung nach dem Mord an seiner Ehefrau notwendig geworden ist, hat der Hotelier die Tochter nicht nur mit dem Pflichtteil bedacht, sondern auch weitere Überschreibungen vorgesehen. Ob Valerie Simons selbst von diesem Testament weiß, konnte der Notar nicht sagen. Auch auf die Frage nach Michelsens Beziehung zur Mutter musste er passen. Sein Klient habe sich in diesem Punkt mit Aussagen sehr zurückgehalten, so dass der Notar vermutete, dass es sich bei der jungen Frau Simons um das Ergebnis einer eher unbedeutenden Affäre handelt.
Silja überfliegt ihre Notizen und beginnt sofort, alle Details über die Mutter von Valerie Simons zu ermitteln. Schließlich sind Rache oder das Gefühl, zurückgesetzt worden zu sein, starke Motive. Doch bald muss Silja einsehen, dass die Hypothese des Notars falsch war. Die Mutter von Jonas Michelsens unehelicher Tochter scheint in dauerndem Kontakt zu dem Erzeuger ihres Kindes gewesen zu sein. Sie lebt nicht nur auf Sylt, sondern arbeitet auch als Buchhalterin im Hotel
Friesenperle
. Das kann kein Zufall sein, sondern es muss sich um eine stillschweigende Vereinbarung zwischen Michelsen und dieser Eva Simons handeln.
Du ziehst mein Kind groß, ich verschaffe dir einen ordentlichen Job.
Vielleicht hat man in beiderseitiger Absprache darauf verzichtet, das junge Mädchen über seinen Vater aufzuklären. Mag sein, die junge
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