Frauen sind auch nur Männer (German Edition)
. Oktober 2012
We apologize for aua English!
120 Minuten Verspätung im ICE – wie die deutsche Eisenbahn ihre Kunden sprachlich erfreut
Die beliebteste deutsche Mundart ist zurzeit ohne Zweifel das Schaffner-Englisch. Ganze Internetportale füllen sich Tag für Tag mit den Versprechern für unvorhergesehene und vorhersehbare Pannen der Bahn, wie das soeben erschienene »Spiegel Online«-Buch »Sorry, wir haben uns verfahren« belegt.
Beispiele gefällig? Nach der Ansage »Wochenend-Tickets sind in diesem Zug nicht gültig« folgte die beunruhigende Übersetzung: »Ze weekend tickets in zis train are not … äh … guilty!« Oder: »Tu se dschäntelmän hu ordert se Bistro Baguette, your Bistro Baguette is räddi.« Dieses Kauderwelsch ist inzwischen so beliebt, dass man den Verdacht haben muss, gut Englisch sprechende Zugbegleiter würden inzwischen zu vierzehntägigen Crashkursen »Wie verschlechtere ich mein Englisch?« gezwungen, um die Fahrgäste bei Laune zu halten.
Anders geht es in den zweistöckigen Regionalexpresszügen zu. Da ertönt vor jeder Station auf der Elektroorgel der erste Takt des schwäbischen Reiselieds: »Jetzt kommen die lustigen Tage, Schätzle, ade!« Und dann, mit einer makellos fehlerfrei artikulierenden Stimme: »Der nächste Halt ist …«, »Ausstieg in Fahrtrichtung links«, »Wir wünschen einen angenehmen Aufenthalt« und/oder »eine angenehme Weiterfahrt«. Hört man dem ein paar Stationen lang zu, fühlt man sich mutterseelenallein gelassen. Man weiß: So perfekt spricht kein Mensch. So fehlerfrei kommt eine Stimme nur vom Band. Menschsein heißt Fehler machen.
Als ich neulich nach Kiel fuhr, begleitete mich auf der Hinfahrt diese Ansage in ihrer kalten Perfektion, ohne eine Lücke für Schadenfreude oder Anteilnahme. Und wie war ich froh, als ich auf der Rückfahrt in einem IC den Schaffner in Kiel zu später Nacht hörte: »Wir begrüßen Sie in unserem IC nach Kiel mit Halt in …« Hier unterbrach er sich: »Verdammt, hab ich jetzt Kiel gesagt?« Lachen. »Verdammt, natürlich auf unserer Fahrt nach Hamburg Hauptbahnhof.« Da fühlte ich mich unter Menschen und nicht allein gelassen mit Maschinen und lernte wieder: Was uns so menschlich macht, sind die kleinen Fehler. Wenn sie sich nicht zu Katastrophen auswachsen.
Aus der Zeit, als es in den Ansagen noch »Thank you for travelling with Deutsche Bahn« hieß (statt »choosing« wie zurzeit), berichtete ein leidgeprüfter Kunde von einer Fahrt aus einem schon 60 Minuten verspäteten ICE in Richtung München. Tapfer hatte der Schaffner in klassischer Speech gesagt: »We apologize for the inconvenience … thank you for travelling with Deutsche Bahn.« Aber als irgendwann die Verspätung auf 120 Minuten angewachsen war, da hörte man den Schaffner auf einmal sagen: »We apologize for travelling with Deutsche Bahn.« Recht hatte er.
10 . November 2012
Wulff im SPD -Schafspelz
Von einem 25 000 -Euro-Waterloo und einer ziemlich späten Spende. Wie Steinbrück in der Wählergunst zum Rolling Stone wird.
Zu Beginn dieser Glosse möchte ich eine Geschichte von einem Tenor und einem Zahnarzt erzählen. Also, ein Tenor sitzt im Zahnarztstuhl, der Arzt muss eine lange, schmerzhafte Operation in seinem Mund vollführen. Als er fertig ist, sagt er anerkennend zu seinem Patienten: »Sie waren aber sehr tapfer und ruhig!« Sagt der Tenor: »Ohne Gage bekommen Sie aus mir keinen Ton heraus!«
Die Geschichte ist mir aus gegebenem Anlass nicht zu einem Sänger, sondern zu einem Politiker eingefallen, der kein Chorknabe, sondern der Kanzler-Aspirant der SPD ist. Denn Steinbrücks Weg zur Kandidatur hat sich seit Bekanntwerden seines Bochumer Auftritts bei den Stadtwerken für 25 000 Euro zu seinem Waterloo ausgewachsen. So witzelten Grüne auf ihrem Neujahrsempfang, zu dem er nicht auftrat (weil er ohne Gage den Mund nicht öffnen wollte?), die SPD würde unter ihren Parteitagsdelegierten schon Geld sammeln, um sich seine Parteitagsrede zur Kandidaten-Kür leisten zu können. Als »Wulff im SPD -Schafspelz« geistert er durch die eigenen Reihen, und in der Tat hat er die Affäre so tapsig behandelt wie der wulffende Ex-Präsident. Jetzt will er das Geld doch wohltätig abführen, wie ein spät reuiger Sünder, beharrt aber darauf, dass die Veranstalter das niemals verlangt hätten.
Dieses Kuddelmuddel erinnert an die Geschichte vom Mann, der sich vor Gericht verteidigen muss, weil er angeblich einen geliehenen Krug
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