Frauen verstehen mehr von Liebe
gerne schon gehen lassen, damit du Besorgungen machen kannst. Deinen letzten Tag bei mir habe ich mir anders vorgestellt. Wir hätten hier auch gemeinsam Kaffee trinken können. Deine Hilfe war mir soviel wert, Vera, ich weiß gar nicht, wie das werden wird, wenn morgen die Neue kommt. Wahrscheinlich –«
»Geh schon, Sonja. Der wartet«, fiel ihr Vera ins Wort. »Ich bin auf alle Fälle noch da, wenn du zurückkommst. Ich werde ja hier abgeholt.«
»Vielleicht haben wir dann noch Zeit für ein Täßchen Kaffee«, raunte ihr Sonja noch rasch zu und lief zur Tür, die ihr von dem schwitzenden Herrn Becker galant aufgehalten wurde.
Draußen stand im Halteverbot der dicke Mercedes des Vertreters. Becker schien also gewußt zu haben, daß er sich nicht lange in dem Laden würde aufhalten müssen.
Vera blickte den beiden nach, als sie in den Wagen stiegen. Sonja, dachte sie, das ist einer der Nachteile deiner Selbständigkeit, diesem schwitzenden Fettwanst nicht sagen zu können, iß doch du, was oder wo du willst – aber ohne mich!
Vera glaubte nicht an eine baldige Wiederkehr Sonjas. Der wird die schon festhalten, sagte sie sich, diese Typen sind doch alle gleich. Würde mich nicht wundern, wenn er drei Stunden lang fressen würde, immer wieder die ›charmante Gesellschaft‹ betonend, in der das geschah.
Vera verschätzte sich in zweifacher Hinsicht: erstens in der Zeit, die sie da so bis zur Rückkehr Sonjas ansetzte, und zweitens überhaupt in der Person Beckers. Es lag nicht in dessen Charakter, solange zu fackeln …
»Sonja!« rief Vera überrascht und erschrocken zugleich.
Das war schon nach fünfzig Minuten der Fall. Sonja taumelte mehr als sie ging durch die Tür. Blaß, zitternd machte sie einen beklagenswerten Eindruck. Herr Becker war nicht zu sehen. Sonja war allein zurückgekommen, in einem Taxi.
»Sonja!« wiederholte Vera, auf sie zueilend. »Was ist passiert?«
»Dieses Schwein!« stieß Sonja mit bebenden Lippen hervor und fiel auf einen Stuhl nieder. »Weißt du, was der von mir wollte?«
Diese Frage beantwortete schon Sonjas Zustand.
»Ich kann's mir denken«, sagte Vera deshalb. »Im Auto?«
»Nein, da noch nicht, aber schon bei der Suppe ließ er die Katze aus dem Sack. Du hättest den hören sollen, wie unverblümt und schockierend er das tat.«
»Nicht nötig«, meinte Vera. »Dazu reicht meine Fantasie von alleine aus.«
Plötzlich stiegen Sonja auch noch Tränen in die Augen, und sie begann zu weinen. Das schnitt Vera ins Herz – das Herz einer guten Freundin.
»Aber Sonja«, bemühte sie sich, dieser Trost zu spenden, »beruhige dich doch, so schlimm ist das ja gar nicht. Der Kerl hat das gleiche versucht wie tausend andere auch. Und du, du hast ihm was gepfiffen. Richtig passiert ist also gar nichts. Oder hat er dich angerührt?«
»Nein«, schüttelte Sonja so heftig den Kopf, daß ihre Locken flogen. Allein diese Vorstellung widerte sie im nachhinein noch an.
»Na also.«
Sonjas Kopf hielt still.
»Aber so einfach ist die Sache nicht, Vera.«
»Warum nicht?«
»Ich bin der Firma von dem etliche tausend Mark schuldig. Und die will er nun eintreiben.«
»Er?«
»Ja.«
»Gehört ihm denn die Firma oder vertritt er sie nur?«
»Er vertritt sie nur, aber er hat bei ihr einen enormen Einfluß. Das weiß ich aus den Tagen, in denen er sich dafür stark machte, daß mir erst mal ohne Bezahlung geliefert wurde.«
»Und jetzt will er, daß dir die Schlinge um den Hals gelegt wird?«
»Nachdem ich abgelehnt habe, mit ihm zu schlafen – ja.«
Unter solchen Umständen drohte Veras Verständnis für Sonja zu schwinden. Wenn das so ist, dachte sie, warum hast du dich denn dann geweigert, mit dem zu schlafen? Wie lautete doch der berühmte Rat jener britischen Herzogin, deren wählerisches Töchterchen vor der Hochzeitsnacht mit einem aus ebenbürtigem Hause stammenden miesen Bräutigam stand? Die Augen zumachen und an England denken.
Das kann ich aber jetzt Sonja nicht sagen, dachte Vera, dafür ist sie nicht der Typ. Die würde mich nicht begreifen.
Und Veras ganzer Zorn wandte sich wieder Herrn Becker zu.
»Kerle wie den«, sagte sie, »müßte man kastrieren.«
»Was mache ich nur?« jammerte Sonja.
»Du kannst das Geld nicht aufbringen?«
»So schnell nicht.«
Vera überlegte. Sie überprüfte in Gedanken ihre eigenen Finanzen, kam aber zu keinem verheißungsvollen Ergebnis. Sie verdiente zwar gut, in ihrer Art lag es jedoch auch, keine Rücklagen zu machen,
Weitere Kostenlose Bücher