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Frauenversteher

Frauenversteher

Titel: Frauenversteher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Hoefer
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auf keinen Fall nach dem Weg fragen würde (es ist ein männliches Schmerzsignal!), kann es bei dem einen oder anderen Mann einen längeren Moment dauern, bis er realisiert hat, was soeben passiert ist. Dann allerdings fällt seine Reaktion umso bemerkenswerter aus.
    Der plötzlich auftretende Schmerz veranlasst den Mann zu einem explosionsartig ausufernden Schmerzensschrei, der je nach Alter, Bildungsgrad und frühkindlicher Sozialisation des Mannes mit Vulgär-, Fäkal- und Genitalvokabular gefüllt werden kann. Wieso Schmerz die eher abgründigen Bereiche des Sprachzentrums im Gehirn des Mannes anregt, ist bisher wenig erforscht, es lassen sich aber Vermutungen anstellen. Mir scheint, dass Schmerz bei Männern eine nicht nur enthemmende Wirkung auf die neuronalen Verknüpfungen hat, sondern vielmehr geradezu eine blitzartige Überaktivierung des Hypothalamus bewirkt. Einige Männer werden so schlagartig zum »Schmerztourettiker«, der seiner Koprolalie (schlagen Sie das mal bei Wikipedia nach) freien Lauf lässt.
    Nachdem der Schrei des Mannes abgeklungen ist, getraut er sich, eine erste Sichtung der Wunde vorzunehmen. Sollte sich die gewohnte Form des Fingers verändert oder sogar Blut seinen Körper verlassen haben, so wird ihm entweder leicht schwindelig werden oder er wird den Finger sogleich weit von sich strecken, weil er den Anblick seines eigenen Blutes nicht ertragen kann. Interessant ist, dass viele Männer keine Abneigung gegen Blut an sich haben. Die meisten Männer können dem Anblick von Blut anderer Männer mit sicherem Abstand oder durch die kommerzielle Inszenierung in Film und Fernsehen sogar einen unterhaltenden Aspekt abgewinnen. Wenn es aber um das ihnen eigene Blut geht, sieht die Sache ganz anders aus.
    Bei Frauen verhält es sich oftmals genau diametral entgegengesetzt. Die wenigsten Frauen, die ich kenne, schauen sich
gerne Action-, Horror- oder gar Slasherfilme an, wohingegen sie ihre eigenen Blutungen, seien sie durch Verletzungen verursacht oder durch mondphasenbestimmte Zustände bedingt, durchaus gelassen und souverän behandeln. Möglicherweise liegt das daran, dass Frauen viel früher, öfter und regelmäßiger mit körpereigenen Blutungen konfrontiert werden und dabei lernen, dass dies auch auf einen gut funktionierenden Körper hinweisen kann. Frauen können die unterschiedlichen Arten von Blut in und an ihrem Körper gewissenhaft analysieren, kategorisieren und angemessen darauf reagieren.
    Männer hingegen betrachten das Austreten eigenen Blutes als das Ergebnis eines von außen gelungenen Angriffs auf ihre Unversehrtheit. Sofort schrillen sämtliche Alarmglocken. Nicht nur der Körper des Mannes wurde attackiert, ebenso seine Unabhängigkeit, seiner Person im Ganzen droht Gefahr. Es hat ein Angriff auf seine Würde und Souveränität stattgefunden. Irgendetwas oder irgendjemand versagt ihm den gebührenden Respekt und hat ihm Schaden zugefügt. Hilfe suchend wendet sich der angeschlagene Mann der Frau in seiner Nähe zu. Mitleiderregend hält er ihr die zitternde, blutende Hand hin. Die Frau kümmert sich zügig und professionell darum, dass die Blutung gestillt wird, während der Mann weiter lamentierend seine Panik zu unterdrücken versucht: »Es blutet! Hast du das gesehen? Echtes Blut! Mein Lebenssaft, da rinnt er hin, schon schwinden mir die Sinne. Leb wohl, du schnöde Welt.« Wahrscheinlich schlägt er sicherheitshalber mal kurz im Gesundheitsratgeber nach, wie viel Blutverlust ein erwachsener Mann überhaupt überleben kann. Oder aber der Mann möchte seine Tapferkeit unter Beweis stellen und fängt plötzlich an, Shakespeare zu zitieren:
    »Doch einer nur behauptet seinen Stand.
    So in der Welt auch: sie ist voll von Menschen,
    Und Menschen sind empfindlich, Fleisch und Blut;
    Doch in der Menge weiß ich einen nur,
    Der unbesiegbar seinen Platz bewahrt,
    Vom Andrang unbewegt: daß ich der bin.« 13
    Andere Männer fluchen einfach fröhlich weiter.
    Selbstverständlich ist nun nicht mehr daran zu denken, dass er sich noch an der Zubereitung der Mahlzeit beteiligt. Ruhe ist vonnöten, am besten die Füße hochlegen und erleichtert darüber nachsinnen, wie glücklich man doch sein kann, dem Tod noch einmal so gerade eben von der Schippe gesprungen zu sein. Vereinfachend könnte man sagen, dass die meisten Männer deutlich mehr Aufhebens um eine kleine Verletzung im Alltag machen als Frauen.
    Warum ist das eigentlich so? Denn andererseits, so kann man doch feststellen,

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