Freibeuter der Leidenschaft
setzte sich, um sie anzuziehen. Jetzt empfand sie keine Trauer mehr – sie war nur noch bekümmert und ganz ohne Hoffnung. Aber so sollte es auch sein. Papa verdiente es, betrauert zu werden, und sie hatte kein Recht gehabt, früher am Tag so fröhlich zu sein.
Sie fragte sich, wo der Kapitän des Schiffes sein mochte, und was er jetzt wohl von ihr dachte. Ganz bestimmt hielt er sie nicht für tapfer und stark. Sie hatte Papa enttäuscht.
„Keine Sorge“,sagte sie zu ihrem Vater und hoffte, er würde sie irgendwo hören. „Ich werde nicht mehr in weibliche Gefühlsduselei ausbrechen. Es tut mir leid, dass ich ein so dummes Mädchen gewesen bin.“
Diesmal bekam sie keine Antwort.
Amanda seufzte. Sie ging aus der Kabine, und sofort erblickte sie de Warenne.
Sein erster Offizier, ein großer Schotte namens MacIver, stand am Ruder. De Warenne stand auf dem Hauptdeck, die Hand locker an die Reling gelegt, und sah zu, wie die Sterne sich auf dem schwarzen Meer spiegelten und es mit silbernen Bändern überzogen. Der Wind hatte sich gelegt und die Fregatte an Geschwindigkeit verloren. Die Nacht blieb mild und angenehm, perfekt für eine Reise.
Er drehte sich um. Einige Fuß Entfernung lag zwischen ihnen, und obwohl sein Schiff weit besser erleuchtet war als das Schiff ihres Vaters es jemals gewesen war, lag vieles im Schatten, und es herrschte Zwielicht. Es war egal. Selbst in der Dunkelheit, selbst mit viel Abstand zwischen ihnen, begegneten sich ihre Blicke, und sie sahen einander in die Augen.
Amanda fühlte sich beinahe hypnotisiert. Sie ging zu ihm hinüber.
Er ließ den Blick über ihr Gesicht gleiten. „Haben Sie sich ausruhen können?“
Sie nickte. „Ja. Danke, dass ich Ihr Bett benutzen durfte.“
Seine Züge wurden sanfter. „Sagen Sie das nicht zu laut – man könnte Sie missverstehen.“
Sie musste lächeln. „Da mache ich mir keine Sorgen. Ich glaube nicht, dass irgendjemand Ihnen vorwerfen könnte, versucht zu haben, mich in Ihr Bett zu holen.“
Er wandte den Blick ab.
Sofort erinnerte sie sich daran, wie er sich am Morgen mit ihr unterhalten hatte, und dass er sie zum Abendessen eingeladen hatte – was tatsächlich eine Einladung zu einem Schäferstündchen war. Sie errötete, und ein seltsames Gefühl breitete sich in ihrem Schoß aus. Amanda wandte sich dem Meer zu und umfasste die Reling. Zu spät erkannte sie, dass sie jetzt nur wenige Zoll voneinander entfernt standen.
Sie warf ihm einen raschen Seitenblick zu und erkannte im selben Augenblick, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben etwas für einen Mann empfand. Ihm so nahe zu sein, raubte ihr den Atem und die Ruhe. Vielleicht würde er sie morgen Abend zum Essen einladen.
Er blieb stumm, und sie wandte sich ab. Sie sah zu, wie das Licht der Sterne auf den Wellen tanzte. So weit das menschliche Auge reichte, gab es nichts als die nachtschwarze See. Sie schien endlos, stark und mächtig zu sein.
Und tröstlich. Er war tröstlich. Sie war sich seines großen starken Körpers und der Anspannung in ihren eigenen Gliedern nur zu deutlich bewusst, aber noch viel stärker war das Gefühl, beschützt und sicher zu sein, einfach durch seine Nähe.
Sie lächelte ein wenig. Sie musste nicht fragen, um zu wissen, dass er die Schönheit und Erhabenheit dieses Augenblicks genoss, und wenn sie ehrlich war, ging es ihr ebenso. Aber tatsächlich genoss sie es vor allem, ihm nahe und mit ihm zusammen zu sein.
Mehr Augenblicke verstrichen in einer neuen und seltsam kameradschaftlichen Stille.
Amanda sagte: „Diese Nacht ist perfekt, oder?“
Er blickte auf sie hinunter. „Da stimme ich zu.“
Sie sah ihm in die Augen, fühlte ein Flattern in ihrer Brust, dann richtete sie ihren Blick wieder auf die endlose Weite des schimmernden Meeres. Papa war nun wirklich fort, aber diese Nacht war trotzdem perfekt. Sie sollte sich wie eine Verräterin fühlen, aber sie wusste, er würde wollen, dass sie diese Nacht genoss.
Dann knurrte ihr der Magen.
De Warenne lächelte sie an.
Amanda errötete. „Das ist nicht damenhaft, oder?“
„Ein oder zwei Mal haben Sie mir nun schon gesagt, dass Sie nicht daran interessiert sind, eine Dame zu sein.“
Sie dachte an das damenhafte Nachthemd in ihrem Gepäck. „Das interessiert mich tatsächlich nicht“, sagte sie, doch sie fühlte, dass das nicht ganz der Wahrheit entsprach. Um das Thema zu wechseln, fügte sie rasch hinzu: „Wenn Sie wirklich mit mir zu Abend essen wollten, so habe ich das
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