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Freitags Tod

Freitags Tod

Titel: Freitags Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Kuhlmeyer
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einem Zug hinunter. Vor der Tür zog er seine alte Lederjacke über. Es hatte sich abgekühlt. Der Motor seines Wagens schnurrte leise. Im Fernlicht der Scheinwerfer streckte sich die Umgehungsstraße, kaum Verkehr. Am liebsten wäre er auf die A 31 nach Norden abgebogen und hätte das Gaspedal durchgetreten. Vielleicht würde er auf die Flut treffen, am Hafen ein Bier trinken und morgens frisch geräucherten Heilbutt kaufen. Bevor er den Gedanken zu Ende denken konnte, hielt er vor Lillys Haus, einem Klinkerbau mit einem großen Garten. Mitunter war er hier vorbeigefahren und er fragte sich nun, warum er ihr nie einen spontanen Besuch abgestattet hatte.
    Der Raum, in dem Lilly auf und ab ging, war erleuchtet und verhalten möbliert. Sie schien mit jemandem außerhalb seines Blickfeldes zu reden. Conrad hatte keine Ahnung, wer das sein konnte. Eigentlich wusste er überhaupt nicht viel über ihr Leben. Als sie sich kennengelernt hatten, hatten sie schnell zueinandergefunden und ein paar reizvolle Nächte miteinander verbracht. Später hatte er ihre Anwesenheit hingenommen, wie den Wechsel der Tageszeiten. Diese Erkenntnis verursachte eine Unruhe in ihm, die er sich nicht erklären konnte. Lilly blieb vor dem Fenster stehen und schien ihn anzublicken. Er kam sich ertappt vor, obwohl ihm klar war, dass er von ihrer Position aus nicht zu sehen war. Schließlich stieg er aus und klingelte. Ihr entschlossener Schritt näherte sich, und sein Herz klopfte. Er kam sich wie ein Staubsaugervertreter vor, ein ungebetener Gast, ein Eindringling.
    Die Tür öffnete sich, und Lilly erstarrte. »Du.«
    Conrad schwieg. Jemand rief »Lilly«. Es war eine männliche Stimme, nicht unangenehm, nur höchst fehl am Platze.
    »Du hast Besuch«, sagte Conrad.
    »Nein.«
    »Willst du mich nicht vorstellen?« Hatte Lilly ihm nicht vor wenigen Stunden Vorwürfe gemacht, dass er sie nicht liebe? Aber er hatte sich nicht als Nächstes eine andere genommen, um … was auch immer? Sie stand immer noch in der Tür und sah ihn erstaunt an. Nicht den Funken eines schlechten Gewissens konnte er in ihrem Gesicht entdecken, und darin war er normalerweise Experte.
    »Nein.«
    »Na, dann war mein Weg wohl umsonst.« Conrad spürte, wie die Farbe aus seinem Gesicht wich. Lilly konnte das nicht entgangen sein, denn sie sagte eilig: »Mein Bruder braucht ein bisschen Ruhe.«
    Conrad lachte auf. »Dein Bruder, ja? Das ist die dämlichste Ausrede, die ich je gehört habe.« Er drehte sich um und winkte ab.
    Hinter ihm quietschte etwas, das ihn bewog, noch einmal zurückzusehen. Im Dämmerlicht des Flurs saß ein Mann im Rollstuhl.
    »Was gibt’s?« Er war Lilly wie aus dem Gesicht geschnitten. Ein dunkelhaariger Mann mit markanten Zügen in den Dreißigern.
    Lilly hob den Arm. »Simon, mein Zwillingsbruder, Conrad, mein …« Sie brach ab. Conrad überlegte, was sie hatte sagen wollen, und auch, was er an ihrer Stelle gesagt hätte. Eine Weile betrachteten sich die Männer abschätzig, dann wendete Simon sein Gefährt und verschwand.
    »Es war anstrengend für ihn heute. Ich muss mich um ihn kümmern.« Sie zog die Schultern hoch, als sei ihr kalt.
    Conrad nickte. Ein leichter Nieselregen setzte ein; es roch nach dem ersten Rasenschnitt.
    »Wir können ja morgen … wenn du willst. Im »Latissimus« vielleicht.« Lilly wirkte plötzlich erschöpft. Dann schloss sich die Tür.

15
    Das Licht aus dem Flur warf einen schmalen Streifen an die Wand. Eben erst war Ostendarp eingeschlafen, jedenfalls kam es ihm so vor. Der Streifen verschwand wieder. Hundertmal hatte er der Nachtwache gesagt, dass sie ihn in Ruhe lassen solle, wahrscheinlich war es schon wieder eine neue. Die letzte hatte ihn morgens um drei geweckt, weil sie ihm die Haare waschen wollte. Nachdem er sie angebrüllt hatte, was ihr einfiele, war sie empört davongerauscht. An die Tage darauf erinnerte er sich nur nebelhaft. Er sah das Bettgitter, wechselnde Gesichter von Zeit zu Zeit, einer Zeit, die er nicht benennen konnte. Irgendwann begann er, die Tabletten, die er abends bekam, im Mund zu verstecken, spuckte sie aus und versenkte sie im Bettbezug. Von da an wurde er wacher. Zwar schlief er nachts schlecht, aber was machte das schon? Er musste auf der Hut sein.
    Plötzlich öffnete sich wieder die Tür, geräuschlos, nur der Lichtstreifen an der Wand war wieder da, diesmal breiter, dann war er weg. Aber Ostendarp wusste, dass jemand das Zimmer betreten hatte, hörte leises Atmen, das Rascheln von

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