Freitags Tod
Tisch am Fenster.
In ihrer gestärkten Bluse sah die Wirtin so frisch aus wie der junge Tag. »Ganz hübsch kalt geworden«, lächelte sie. Das Wetter war immer ein Thema. »Guten Morgen, Herr Böse. Was möchten Sie zum Frühstück.«
Er bestellte Rührei, Tomaten und Orangensaft. »Viel Kaffee«, rief er ihr nach, bevor sie in der Küche verschwand. Während Conrad wartete, überlegte er, wie es weitergehen sollte. Von Tom hatte er zwar einiges über die Verhältnisse im Hause Freitag erfahren, aber wirklich weitergekommen war er nicht. Sein schlechtes Gewissen meldete sich. Dafür hätte er Sammy nicht alleinlassen müssen. Er musste Sven anrufen und eine bessere Lösung finden. Die bessere Lösung war, nach Coesfeld zurückzufahren, das war sicher, aber wenn er daran dachte, krampfte sich sein Magen zusammen. Es war eine idiotische Idee, hierher zu reisen. Nichts, aber auch gar nichts hatte er erreicht, mit Ausnahme des Umstandes, dass er sich allerorten würde erklären müssen. Er mochte nicht daran denken.
Auch nach dem schmackhaften Frühstück verflüchtigte sich seine trübe Stimmung nicht, die der aufgeräumten gefolgt war. Conrad ging in sein Zimmer und ließ sich aufs Bett fallen. Wie trostlos der Raum im hellen Tageslicht wirkte. Immerhin konnte er sich durchringen, Sven anzurufen und erfuhr, dass Anke, die vorzeitig zurückgekommen war, Sammy abgeholt hatte. Sven brauchte ihm nicht zu beschreiben, wie wütend sie gewesen war, trotzdem spürte er Erleichterung.
Conrads Mutter hatte ihm fünf SMS aufs Handy geschickt und um Rückruf gebeten. Aber das wollte er sich jetzt nicht antun. Er schrieb ihr, dass er sich melden würde. Lilly hatte nicht angerufen, nicht geschrieben. Wie es ihr wohl ging? Zu seiner Überraschung empfand er Sehnsucht. Nach ihrem Haar, ihrer Wärme, ihrer Haut, nach ihrer Gegenwart. Eine Weile blickte er auf das Display seines Handys, suchte ihre Nummer, wählte und legte auf. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt. Er sah auf die Uhr. Wahrscheinlich war sie im Büro, später würde sie sich um ihren Bruder kümmern müssen.
Der richtige Zeitpunkt ... Bei Conrad stellte sich das nagende Gefühl ein, immer wieder im Leben den richtigen Zeitpunkt verpasst zu haben. Er war zweiundvierzig Jahre alt, saß in einem Hotelzimmer in einem Ort namens Brenzlin und hatte nichts erreicht, gar nichts. Eine gescheiterte Ehe lag hinter ihm. Er sah sich außerstande, sich hinreichend um seine Mutter zu kümmern. Die Beförderung im Job ließ auf sich warten, und sein Sohn musste ihn hassen, nach allem, was er ihm zugemutet hatte. Vor ihm – ein endloser Tag.
Er musste eine Entscheidung treffen. Sollte er bleiben? Sollte er zurückfahren? Zu Hause wartete jede Menge Arbeit auf ihn, doch das war es nicht, was ihn aufhielt. Selbst die Post der letzten Tage, die er ungeöffnet auf seinem Schreibtisch hatte liegen lassen, schürte sein Unbehagen. Irgendwann musste er zurück, warum nicht sofort? Der Fall war so gut wie abgeschlossen, wenn auch auf eine unerwartete Weise. Das machte die Sache allerdings auch nicht besser, denn er würde sich besonders vor Stefan Fels verantworten müssen und nicht nur vor dem.
Warum konnte nicht eine gute Fee vorbeigeschwebt kommen und ihm die bewussten drei Wünsche freistellen? Und wenn sie käme, was würde er sich wünschen? Den Lottogewinn? Die unendliche, bedingungslose Liebe? Das ewige Leben?
Eigentlich hatte er sich am gestrigen Abend ganz wohl gefühlt. Obwohl nicht eben erquickliche Themen besprochen worden waren, hatte er Tom Sebalds Anwesenheit als angenehm erlebt. Mein Gott, dachte er, was für ein jämmerliches Leben, wenn er die Gegenwart eines Verdächtigen genoss. Nur war Tom kein Verdächtiger mehr. Henry hatte gestanden. Der Rest würde sich fügen. Was sprach dagegen, ein paar weitere Biere miteinander zu trinken und über Gott und die Welt zu plaudern? Vielleicht sollte er einen langen Spaziergang machen, ein paar Stunden schlafen, gut essen und anschließend Sebald aufsuchen. Irgendein Vorwand würde sich finden lassen, und er könnte die Heimfahrt noch einen Tag aufschieben. Er kam sich erbärmlich vor. Doch die Vorstellung dessen, was knapp sechshundert Kilometer westlich auf ihn wartete, war schlimmer. Plötzlich erschien es ihm geradezu verlockend, einen weiteren Tag in dieser Abgeschiedenheit zu verbringen.
Zur eigenen Beruhigung, und um sich den Anschein eines hart arbeitenden Beamten zu geben, könnte er zunächst Claire Di Marco im
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