Freitags Tod
Alex wird mich zur Schnecke machen, wenn sie sein Auto geklaut haben.«
»Bist du schon mal auf die Idee gekommen, dass es bei der Polizei stehen könnte? Sie suchen dich.« Und mich inzwischen vielleicht auch schon. Hoffentlich. Inständig wünschte ich mich in die Sicherheit des Krankenzimmers zurück. Sicherheit. Die hatte ich bis vor Kurzem nicht mehr gewollt. Das Meer hatte ich gewollt, seine unendliche Freiheit. Und nun saß ich zwischen verfallenen Lokschuppen und sehnte mich nach Sicherheit.
»Ich kann nicht allein sein. Ich kann nicht, verstehst du?« In Sophies Gesicht lag Qual. Sie tat mir leid.
»Ja.« Irgendwie verstand ich sie. »Trotzdem kann man nicht einfach x-beliebige Leute durch die Gegend kutschieren, einfach mitnehmen. Man nennt das Entführung.«
Erschrocken sah sie auf. »Ich hab dich doch nicht entführt! Tom hat gesagt, du hilfst mir.«
»Das mag sein.« In meinem Kopf ratterte es. Ich wollte sie nicht gegen mich aufbringen, so unberechenbar wie sie war. »Schau«, sagte ich. »Es ist nicht mehr lange bis morgen. Nur noch einmal schlafen. Dann kommt Tom bestimmt zurück , und ihr überlegt, was zu tun ist. Er hat sicher eine Idee.«
»Ja, klar. Er sagt, ich soll mich stellen. Aber das geht nicht. Dann kommt mein Kind ins Heim. Das geht nicht«, wiederholte sie.
»Vielleicht gibt es ja noch eine andere Lösung.« Ich hatte keine Ahnung, was ich damit meinte. Ich wollte nur zurück und weg von dieser verrückten Person.
»Könnte sich nicht sein Vater darum kümmern?«, fragte ich arglos. Sofort wurden Sophies Augen zu Schlitzen.
»Sein Vater kann sich nicht darum kümmern. Sein Vater ist tot.« Sie schnellte hoch und lief hin und her, und meine Angst kehrte zurück. Nach ein paar Runden um das gemauerte Viereck blieb sie stehen.
»Ich muss weg.« Das war ein Lichtblick. Dann lief sie wieder hin und her. »Aber ich kann nicht.«
»Wie bist du denn hergekommen?«
»Mit dem Rad.«
»Dann nimmst du dein Rad, fährst zurück zum Schuppen und schläfst dich aus. Dann ist schon morgen.«
Auf ihrem Gesicht kämpfte die Angst vor der Einsamkeit mit der Furcht vor Entdeckung. Endlich fasste sie einen Entschluss.
»Okay«, sagte sie, nahm die Griffe meines Rollstuhls und fuhr mich zurück zur Unterführung, diesmal vorsichtig jeder Unebenheit ausweichend.
Auf dem Bahnhofsvorplatz stand ein Streifenwagen. Sophie erstarrte vor der Tür, die sich sinnlos automatisch öffnete und schloss.
»Ich muss weg.« Sie drehte sich noch einmal um. »Entschuldige, Claire.« Damit schlüpfte sie durch die Tür, schlenderte zum Fahrradständer hinüber und nahm eines der Räder, das irgendwer unvorsichtigerweise nicht abgeschlossen hatte. Ich sah ihrem Rücken nach, als sie davonradelte.
Schwester Hannelore war von einer Schwester abgelöst worden, die ich noch nicht kannte, einer hübschen, großgewachsenen mit einem kecken Kurzhaarschnitt, sie brachte gerade Kaffee und Kuchen. Sigrun erwachte, als ich ins Zimmer rollte. Der Ausflug hatte mich unglaublich erschöpft, der Rückweg ins Krankenhaus war mir wie eine nicht enden wollende Strapaze vorgekommen. Den Rollstuhl mit eigener Kraft über eine längere Strecke in Bewegung zu setzen, vom Bahnhof zum Krankenhaus, dann durch die Eingangshalle hin zum Aufzug, hinauf zur Station, den Flur entlang – das war ungewohnt und sehr anstrengend. Ich hatte Tränen in den Augen, als ich mein Bett sah. Ich nahm einen tiefen Zug aus meiner Wasserflasche, entledigte mich meiner Hose und schob mich unter die Decke. Sigruns Bericht über ihre Operation, die Narkose, ihre Kinder, und was weiß ich, brandete an meine Ohren, erreichte aber nicht mein Hirn. Nur manchmal sagte ich »hm«.
28
Es war spät geworden und Tom Sebalds Laden hatte bereits geschlossen. Conrad parkte den Wagen, stieg aus und ging um das Haus herum. Am Ende des Grundstücks drückte sich ein Gewächshaus an eine Mauer. Die Tür stand offen. Conrad folgte dem Pfad, überquerte einen Streifen verbrannten Grases und rief: »Hallo?«
Keine Antwort. Die Scharniere quietschten, als er die Tür weiter aufschob.
»Hallo?«
»Komme!« Ganz hinten zwischen üppigen, wachsartigen Blättern bewegte sich ein roter Tupfen. Kurz darauf trat die Frau in den Gang, die Conrad schon im Laden gesehen, die ihn mit einem Glas Wein versorgt hatte. Sie hatte ihr Haar unter einem Kopftuch versteckt.
»Herr Böse.« Sie lächelte. »Was gibt’s?«
»Wahrscheinlich werden Sie den Laden noch bis morgen
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