Freitags Tod
zwischen einem ehemaligen Lokschuppen und einer Lagerhalle gefunden und zum Präsidium abschleppen lassen hatte. War sie mit dem Zug weitergefahren? Dann konnte sie überall sein. Zur Hölle mit diesem Fall, dachte Conrad und erhob sich.
»Vielen Dank, Frau Große, für Ihre Auskünfte und …«, er wies auf den Tisch, »das Wasser.« Dann drehte er sich um und marschierte los.
»Warten Sie!« Annelie folgte ihm.
»Warten Sie. Sie wollten doch wissen, wo Sophie Freitag sein könnte.«
»Ich fürchte, wir wissen es. Wahrscheinlich ist sie schon wieder unterwegs.«
»Wollen Sie nicht vorsichtshalber in Toms Bootsschuppen nachsehen?«
Abrupt blieb Conrad stehen. »Tom hat einen Bootsschuppen?«
»Er nutzt ihn kaum noch. Früher war er oft dort draußen zum Angeln. Das Grundstück am See hat er vor ein paar Jahren einem Freund abgekauft, mit Bootsschuppen und zwei Ruderbooten. Viele haben hier ein Boot, ein Stückchen Land am See oder wenigstens einen Bootssteg.«
»Wissen Sie, wo das ist?« Röte stieg Conrad ins Gesicht und sein Herzschlag beschleunigte sich.
»Ja.«
»Können Sie es mir beschreiben?«
»Ja, also, Sie müssen die Landstraße in Richtung Brenzlin zurück, dann kommt irgendwann rechts eine Abzweigung, dann …«
Das dauerte Conrad alles zu lange.
»Können Sie mich hinbringen?«
»Nein.« Sie hob die Schultern. »Ich habe kein Auto.«
Ungeduld zerrte an Conrads Nerven.
»Wenn ich Sie mitnehme, zeigen Sie mir dann, wo es ist?«
»Sicher. Ich muss sowieso in die Richtung. Kriegen Sie mein Rad in den Kofferraum?«
Wenn das alles war. Der XM Combi hatte einen Kofferraum, in dem ein Echo widerhallte, wenn man hineinrief. Für Conrads Empfinden dauerte es ewig, bis Annelie das Haus abgesperrt und ihre Einkaufstasche verstaut hatte. Der Wagen hinterließ eine Wolke aus feinem Sand, als sie endlich losfuhren. Annelie lotste ihn in einen Feldweg, den er am Vortag übersehen haben musste und der zu Recht für Fahrzeuge gesperrt war. Nach einem Kilometer bat Annelie ihn, zu halten.
»Hier muss ich links ab. Folgen Sie einfach dem Weg und nehmen die nächste Möglichkeit zum See hinunter, dann treffen Sie auf den Bootschuppen. Es sind höchstens noch zwei Minuten zu fahren. Sie können es gar nicht verfehlen.«
Conrad bedankte sich, lud das Fahrrad aus und ließ sein Auto weiter langsam den Weg entlangtorkeln, schneller ging es eben nicht. Tatsächlich erreichte er nach kurzer Zeit eine Anhöhe, von der aus man einen wundervollen Blick auf den See hatte. Die Sonne stand tief und spiegelte sich im Wasser, unter hohe Weiden duckte sich der Bootsschuppen. Urlaub, dachte Conrad und seufzte. Er parkte am Wegrand hinter einem Gebüsch und telefonierte mit Wolf Seidel.
»Ich geb dir Bescheid, wenn ich sie hier finde«, sagte er und legte auf.
Sophie
Sand knirscht. Sophie hört ihn kommen. Sophie hört alles. Sie hört alles, sieht alles und spürt alles. Viel zu nah. Manchmal hat sie Angst, dass die Dinge sie auflösen, sich hineindrängen in sie, sie aufnehmen und auslöschen, als sei sie nie gewesen, nie sie selbst, nie Sophie gewesen. Schritte knirschen um den Schuppen herum, schleichen, schlurfen, halten inne. Das ist nicht Tom. Sophie hat Hunger. Wenn sie nicht bald etwas isst, kommt der Kopfschmerz zurück. Sie muss immer tun, was der Kopfschmerz will. Er hält sie fest, auch am Leben. Die Schritte tappen zurück zum Tor. Es öffnet sich einen Spalt, Licht flutet hinein. Zu hell, viel zu hell. Sie drückt sich an die Wand. Die Bretter sind rau. Eine Silhouette erscheint im Rechteck des Tors.
»Sophie Freitag? Sind Sie hier?«
Nicht Tom. Sie kann nicht erkennen, wer es ist. Mühsam unterdrückt sie ihren Atem. Die Stimme kommt ihr bekannt vor. Die hat sie schon einmal gehört. Wenn sie sich nur erinnern könnte. Immer gerät ihr die Zeit durcheinander. Und die Leute und die Dinge, die sie aufsaugen. Wo ist Ko? Sie hatte ihr Krokodil mitgenommen. Ohne Ko wäre sie nie aus dem Haus gegangen. Wo ist es? Sie braucht Ko, wenn sie niemanden sonst hat. Sie kann nicht allein sein. Nur die Wand hinter ihr hat sie, sonst nichts. Die Gestalt kommt näher, bis sie neben dem Boot stehen bleibt. Der Mann scheint ihr mitten ins Gesicht zu blicken. Er erkennt sie nicht. Die Wand nimmt sie auf. Niemand kann sie sehen. Dann wendet er sich in die andere Richtung und sagt: »Ich bin Hauptkommissar Böse. Sie brauchen sich nicht zu verstecken. Ich will nur mit Ihnen reden.«
Der Bulle. Den kennt sie. Der war zu
Weitere Kostenlose Bücher