Fremd flirten Roman
die Great Portland Street ein und fuhren vorbei an meinem Lieblingsblumenladen, der fast wie eine moderne Galerie für Blumen aussah. Der Raum war riesig, und die zur Schau gestellten Blumensorten waren außergewöhnlich und wurden mit Lichtern angestrahlt.
Wir hielten schließlich direkt vor der Privatklinik, die von außen nicht viel hergab. Kaum zu glauben, dass in diesem unauffälligen, schmucklosen Kasten die Klinik mit Weltrenommee untergebracht war, in der Lady Di, Gott hab sie selig, und sämtliche Prominenz ihre Kinder zur Welt gebracht hatten!
»Wieso gehen wir nicht in das Royal Free in Hampstead? Wäre doch viel praktischer!«, flüsterte ich. Welch naives Ansinnen das war, machte mir gleich darauf Annes Antwort klar.
»Wenn du dich mit einem Pilz infizieren möchtest, Zeit hast, fünf Stunden zu warten, und das Risiko eingehen willst, wieder weggeschickt zu werden, nur weil du noch nicht von einem GP registriert worden bist, bitte, gern nach dir.«
»GP« waren die Allgemeinärzte, von denen man sich registrieren lassen musste, denn ohne diese Registrierungsnummer lief nichts, es sei denn, man hatte genug Geld und ging zu Privatärzten und in Privatkliniken.
»Ich dachte immer, der NHS sei ’ne gute Sache. Das stand zumindest früher in unserem Englischbuch. Ist kostenlos und für alle!«, wagte ich einen Einwand.
»Ja, das war mal vor hundert Jahren so! Glaub mir, ich finde in England einiges besser als in Deutschland, aber das Gesundheitssystem gehört definitiv nicht dazu!«
Zum Glück war ich hier noch nicht krank, dachte ich bei mir, während wir über den ausgelegten flauschigen Teppich gingen, der eher an ein Hotel als an eine Klinik erinnerte. Ob so ein Teppich auch unter hygienischen Gesichtspunkten für eine Klinik empfehlenswert war?, überlegte ich, typisch deutsch. Der Sauberkeitsfimmel schien bei uns tatsächlich in den Genen zu liegen.
Anne meldete sich an, und wir wurden in das mit üppigen Blumenbouquets ausstaffierte Wartezimmer gebeten, in dem bereits einige der weiblichen Mitglieder der oberen Zehntausend warteten. Ja, mit dem nötigen Kleingeld ließ es sich in London wirklich angenehm leben!
»Woher weißt du denn so genau, dass das NHS nicht mehr gut ist?«, fragte ich Anne interessiert, die ja noch nicht allzu lange in England lebte.
»Na, von Jakob!«
Jakob war Annes jüngster Bruder, Mediziner und ein typisches Nesthäkchen, ziemlich frech und unerschrocken. Jakob gehörte zu den Männern, die nie erwachsen wurden und die im piekfeinen Wellnesshotel im voll besetzten Whirlpool, wenn das Blubbern nachließ, in die Runde warfen: »Die letzten Blasen warenvon mir!«, und sich tagelang über die entsetzten Gesichter amüsieren konnten.
Er war es auch gewesen, der sich auf Annes und Axels Hochzeit den ach so köstlichen Scherz erlaubt hatte, auf Axels Schuhsohle einen Zettel aufzukleben, auf dem gut leserlich Help me! stand und den die versammelte Kirchengemeinde bei der Trauungsmesse zu sehen bekam, als Axel und Anne sich vor dem Altar hinknieten.
Wie ich hatte Jakob ein Semester in England studiert und es im Gegensatz zu mir ordentlich krachen lassen, was ihm nach einer feuchtfröhlichen Kneipentour im Januar eine fette Lungenentzündung eingebracht hatte. Man sollte das milde Golfklima eben nicht überschätzen, auch wenn die Engländer kein Kälteempfinden zu haben schienen (zumindest legte die kollektive Schulbekleidung mit den kurzen Röckchen, die auch im Winter getragen wurde, diesen Schluss nahe). Englische Schulmädchen mussten ein Gen haben, das sie gegen Blasenentzündungen immun machte. Anders ließ sich die leichte Bekleidung auch bei Erwachsenen nicht erklären.
»Auf jeden Fall hat Jakob erzählt, dass man ihm damals im Krankenhaus beim Lungeröntgen erst keinen Bleimantel umgelegt hat. Er musste von sich aus danach fragen und darauf bestehen! Dann fanden sie einen Schatten auf der Lunge, was aber nur daran lag, dass sie vergessen hatten, ihm zu sagen, wann er während der Aufnahme ein- und wann ausatmen musste. Und das Beste war, dass auf der Lungenstation geraucht werden durfte! Kein Witz! Das war zwar im Ostteil der Stadt, wo bekanntlich nicht so viel Geld fließt, aber das ist doch wirklich nicht zu fassen, oder? Ach, und anscheinend klagen hier Patienten auf OP-Termine und werden in andere EU-Länder ausgeflogen, weil es im Inland zu lange dauert. Eventuell ist es dann für die Krankenzu spät!« Anne war gar nicht mehr zu bremsen und konnte eine
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