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Fremde am Meer

Fremde am Meer

Titel: Fremde am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Olsson
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Ganzheit. Ich wollte sicher sein, dass ich, was immer mir auch bevorstand, ich selbst bleiben würde. Ein Ich, das alles barg, was ich je gewesen war und was ich womöglich noch werden konnte.
    Ich setzte mich ins Gras. Mein Blick fiel auf das heranrollende Wasser, das den Sand vor mir glättete, und wieder knipste ich drauflos, ein ähnliches und doch nie ganz gleiches Bild nach dem anderen. Es gab nichts an diesem Strand, das mich an etwas anderes erinnerte, an einen anderen Ort. Er schien absolut er selbst zu sein und ewig. Vielleicht war das sein Reiz. Er gehörte mir nicht und würde mir nie gehören. Mein kurzes Hiersein würde keinerlei Spuren hinterlassen. Und doch, als ich hinaus aufs Meer schaute und das Entstehen einer der gigantischen Wellen beobachtete – zusah, wie sie sich aus der trügerisch glatten, dunklen Masse erhob und anstieg, weiter und weiter, bis sie ihren unglaublichen, schimmernden, gefährlichen Höhepunkt erreichte, wo sie für den Bruchteil einer Sekunde zu balancieren schien, ehe sie mit betäubendem Donnern ungestüm brach –, spürte ich, wie eng verbunden ich mit dieser Umgebung war. Wie viel von meinem Leben hierher gehörte. Hier war mein Leben, der Welle gleich, auf seinen schimmernden Höhepunkt zugelaufen, hatte ich das Glück bedingungsloser Liebe erfahren.
    Alles, was davor geschehen war, hatte sich in weiter Ferne zugetragen, genau wie das Schwungholen der Wellen.
    Mit einem ebenso langen, allmählichen Anschwellen.
    Einem ebenso flüchtigen Höhepunkt.
    Und solchen endlosen Nachwirkungen.
    Ich erhob mich und nahm meine Wanderung wieder auf. Ich musste mein Gedächtnis bis auf seinen tiefsten Grund erkunden, um das Ganze zu verstehen. Musste seine Entwicklung vom Ursprung her verfolgen.
    Und so suchte ich nach meiner frühesten bewussten Erinnerung, mühte mich, im Geiste die Zeit zurückzudrehen. Es war seltsam, denn als eine Erinnerung nach der anderen an mir vorbeirauschte, merkte ich, dass es viel mehr von ihnen gab, als mir klar gewesen war. Sie spulten sich ab wie ein Film in Zeitlupe, standen mir scharf vor Augen und verschwammen dann wieder.
    Bis der Film schließlich zu seinem Ende kam. Zu meiner frühesten Erinnerung. Ich versuchte, sie mir nicht anzuschauen, sondern mich in sie hineinzubegeben, mich in das kleine Mädchen zurückzuverwandeln.
    Sie war sehr jung. Das erkannte ich plötzlich. In meiner Erinnerung war sie mir älter erschienen. Aber jetzt konnte ich die Kleine voller Zärtlichkeit ansehen und ihre Kleinheit zur Kenntnis nehmen.
    Und ihre Verletzlichkeit.
    Sie geht hinter ihrem Großvater her. Beide sind barfuß. Sie gehen langsam. Ab und zu bleibt er stehen und dreht sich um, manchmal, um einen Ast beiseitezudrücken, ein Spinngewebe wegzuschieben. Manchmal nur, um zu lächeln.
    Der Wald lichtet sich, und sie treten hinaus auf die sonnenwarmen roten Felsen. Es ist still, und die Sonne ist warm auf ihrer Haut. Wieder dreht der Großvater sich um. In Erwartung eines Lächelns lächelt sie selbst schon. Doch er lächelt nicht. Er reißt sie hoch und packt sie dabei so fest, dass ihre Achselhöhlen schmerzen. Sie greift nach seinem Hals und umklammert ihn, während er ein paar schnelle Schritte macht und auf die Planken des Stegs springt. Sie spürt seinen Herzschlag unter der warmen Haut seiner Brust, hört seine raschen Atemzüge. Er bleibt einen Moment lang stehen und hält die Luft an. Dann setzt er sie behutsam wieder ab, glättet ihr Kleid und nimmt ihre Hand. Er hockt sich neben sie und zeigt auf die Felsen unter ihnen. Auf seiner Stirn glitzern kleine Schweißperlen. Sein Griff um ihre Hand ist zu fest, und sie versucht, die Hand zu befreien. Daraufhin lockert er seinen Griff, und sie lässt ihre Hand in seiner.
    »Da, Marianne«, wispert er, den Blick auf den Felsen gerichtet, wo sie eben noch standen. Großvaters Flüstern gefällt ihr nicht.
    »Siehst du das?« Er wartet darauf, dass sie nickt. Ja, sie sieht es. Es sieht aus wie eine lange, dünne Wurst, die sich langsam entrollt, grau auf dem rötlich-grauen Stein und schwer von ihm zu unterscheiden. Jetzt glänzt es in der Sonne und gleitet geräuschlos über die glatte Fläche. Sie kann den dunklen Zickzackstreifen sehen, der sich über seinen Rücken zieht.
    »Das ist eine Schlange«, sagt er. Dann zögert er, als müsse er nachdenken. »Wunderschön, oder?« Wieder hält er inne, und ihr wird klar, dass er auf ihre Zustimmung wartet. Sie findet das Tier nicht schön, nickt jedoch

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