Fremde Federn
allem Anschein nach das Werk keines Geringeren ist als Edgar Allan Poe. Damit müßte man sich überall einen Job an Land ziehen können. Sie war ja wohl eine gute Studentin.«
»O ja.«
Wiggins hatte sein bis auf weißlich flockige Rückstände fast leeres Glas abgesetzt. »Gut und schön, aber dauert es normalerweise nicht ewig lange, eine Doktorarbeit zu schreiben? Es nützt auch nichts, wenn jemand die eigenen Schlußfolgerungen schon vorwegnähme. Jemand anderes könnte beweisen, daß es sich um eine Fälschung handelt, bevor man die Arbeit fertig hat.«
Melrose sagte: »Dann schaltet man einfach um und arbeitet diese Ergebnisse mit ein. Das wäre zwar nicht halb so dramatisch, aber bedenken Sie doch das Aufsehen, das man bis dahin schon erregt hätte. Andererseits wüßte man, schon bevor man überhaupt anfinge, ob jemand daherkommen und die eigene Position in Stücke zerfetzen würde, denn schließlich wäre das gefundene Manuskript schon von Experten gründlich geprüft worden. Beverly hätte also die Chance gehabt, ihre Dissertation zu beenden, bevor ein ernsthafter Disput darüber entstanden wäre. Und sie hätte sich ja auch ganz simpel weigern können, das Manuskript jemand anderem zu zeigen. Es gehörte schließlich ihr. Aber folgendes wäre sehr gewieft: Für ihre Zwecke wäre es, abgesehen von dem Wert eines echten Manuskripts an sich, Jacke wie Hose, ob es echt ist oder nicht, denn genau das hätte sie ja in ihrer Dissertation zu diskutieren versucht. Sehr trickreich. Man fälscht ein Manuskript eben deshalb, weil man zeigen will, daß es gefälscht ist.«
»Ja, aber wenn das der Fall ist«, sagte Wiggins, »warum ermordet jemand einen Menschen, um ein Manuskript in die Hand zu bekommen, das nicht echt ist?«
»Stimmt.« Jury dachte einen Moment nach. »Wenn seine Echtheit in Frage steht ... Warum an der Kirche?«
»Weil die Leute wußten, daß sie dorthin ging. Der neunzehnte Januar ist Poes Geburtstag. Natürlich habe ich auch gedacht, daß das seltsam war, ausgerechnet dort. In aller Öffentlichkeit. Was meinen Sie dazu?«
Jury schaute sich in der Kneipe um; Patrick Muldare war gegangen. »Was ist mit Patrick Muldare? Das dritte Paar Anfangsbuchstaben. Warum glaubte sie, sie bezögen sich auf ihn?«
»Ich weiß nicht, warum. Sie waren sehr gute Freunde. Hm, vielleicht hatten sie sogar ein Liebesverhältnis. Und sie hat in dem Laden seines Bruders gearbeitet.«
Wiggins hatte das Notizbuch gezückt. »Und wo wäre das bitte, Miss?«
»Es ist ein ziemlich freakiger Antiquitätenladen ... hm, wahrscheinlich sind es nicht mal Antiquitäten. Er heißt Nouveau Pauvre und ist drüben in der Howard, wo die ganzen Antiquitätenläden sind. Er ist total in. Jetzt gibt es auch noch ein Café dazu - Hard Knocks heißt es. Da hat Beverly stundenweise gearbeitet. Ich weiß nicht, ob sie in dem Laden oder in dem Café gearbeitet hat, neben diesem Job für Professor Lamb. Über sonstige Freunde weiß ich nichts.«
Jury las den Artikel aus dem Inquirer noch einmal und grübelte. »Philip Calvert.« Er schaute Ellen an. »Hat sie Philip Calvert Ihnen gegenüber einmal erwähnt?«
»Direkt nicht, nein. Aber hier sehen Sie, daß er bei der Barnes Foundation in Philadelphia war. Im letzten Semester hat Beverly dort einen Kursus über Kunstbetrachtung gemacht; die Barnes Foundation bietet eine Reihe Kurse an. Da wäre es schon ein Zufall, wenn es keine Verbindung gäbe.«
»Aber niemand ist in irgendeiner Weise auf die Idee gekommen, daß die Morde zusammenhängen, auch die Polizei nicht.« Melrose hatte die Artikel ausgebreitet und schaute beide noch einmal an. Dann sagte er zu Ellen: »Was für Informationen hatte Beverly Brown, die die Polizei nicht hatte?«
»Ich weiß nicht.«
Jury studierte immer noch das Blatt mit den Buchstabenpaaren. »Sie hat ganz sicher die Namen miteinander in Verbindung gebracht. Immer unter der Voraussetzung natürlich, daß die Initialen für diese drei Namen stehen.«
»Das müssen sie«, sagte Ellen. »Ich meine, es sind ja nicht nur die Zeitungsausschnitte. Welchen anderen JJ könnte sie mit dem Bindestrich zwischen den Js meinen? Es muß John-Joy sein.«
Jury lehnte sich zurück. »Morgen fahre ich in diese kleine Stadt in Pennsylvania. Nach Blaine, Pennsylvania. Vielleicht schaffe ich es, mit Calverts Freundin bei der Barnes Foundation zu sprechen.«
Wiggins fragte: »Brauchen Sie mich dabei, Sir?« Sein Tonfall besagte, daß es ihn nicht drängte,
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