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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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also auf nach Kalifornien. Hätte ich vielleicht nicht zusagen sollen? Ich weiß es nicht, Eustacia. Ob wir die richtige Entscheidung gefällt haben, wissen wir doch immer erst dann, wenn eine falsche Entscheidung schon längst getroffen ist.«
46. EIN HOCH AUF DEN KRIEG
    Das Kaiserliche Heer hatte sich zum Herbstmanöver in den Bergen und Tälern um Würzburg eingefunden, eine bezaubernde alte Stadt am Main, in der vormals die Lehnsherren der Gegend ihre Sommerresidenzen errichtet hatten. Vier lange und ermüdende Tage - glücklicherweise ohne Regen - filmten Paul und Sammy Schützengräben, Attacken der Kavallerie, Übungsgefechte mit scharfen Geschossen, die gefährlich nahe an die Schützenlinien herangeschleppt wurden. Der einundfünfzigjährige Kaiser nahm aktiv daran teil, er befehligte die Übungen von seinem Posten auf der Anhöhe aus per Feldtelephon. Paul filmte den Kaiser, wie er unter Adler und Eisernem Kreuz mit der Inschrift »Gott mit uns« auf- und abschritt. Wilhelm II. war glücklich und aufgeregt wie ein kleiner Junge. Aber kein Junge, der Soldat spielte, wäre in spiegelblanken Stiefeln, langem Militärmantel, an dessen Brust Medaillen und Abzeichen prangten, erschienen und auch nicht mit der glänzenden silbernen Pickelhaube des KürassierRegiments, dem er angehörte. Der Kaiser war ein lauter, häufig sogar martialisch auftretender Mann mit prächtigem Schnurrbart, dessen nach oben gezwirbelte Enden sorgfältig gewachst waren. Seine behandschuhte linke Hand ruhte in der Regel auf der Hüfte oder auf dem Säbelknauf seines Schwertes; sein linker Arm war infolge eines Geburtsfehlers lahm. In einem seiner berühmten Ausbrüche gegen das Volk seiner Großmutter erklärte er, die Verkrüppelung habe er seinem englischen Blut zu verdanken.
    Am vierten Abend des Manövers versammelten sich der Kaiser, drei seiner sechs Söhne, die dem Heer angehörten, und fast dreihundert Offiziere zu einem festlichen Bankett. Sie speisten nicht in der Residenz, die als einer der größten und schönsten Barockbauten Europas galt, sondern auf Beschluß des obersten Feldherrn, des Kaisers, im großen Saal der Festung Marienberg, also in einer dem kriegerischen Zweck angemesseneren Umgebung auf der anderen Seite des Flusses. Zwei riesige Feuerstellen beleuchteten den Saal, dazu zahlreiche, eigens für diesen Zweck auf Ständern befestigte elektrische Lichter, die den Raum in einen eigentümlich weißen Glanz tauchten und den Anwesenden ein bizarres, geisterhaftes Aussehen gaben. Aufgetragen wurden Wildschwein, Fasan und hinreichend Bier, um die Nieren eines ganzen Regiments zum Platzen zu bringen.
    Paul und Sammy schlenderten vor dem Essen durch den Saal, Sammy mit großen Augen angesichts so vieler Goldborten und Federn und soviel Messing und Brimborium. Der Kaiser war ein Bewunderer preußischen Junkertums, mit dem er sich auch am liebsten umgab. Ein Brigadier kniete auf Händen und Knien und ahmte Schweine und Kühe nach, die Söhne des Kaisers, Prinz Joachim, Prinz Friedrich und Kronprinz Wilhelm, trugen zur allgemeinen Belustigung bei, indem sie wie Esel wieherten. Der Kaiser hielt sich den Bauch vor Lachen.
    Ein blonder Offizier mit markanten Zügen zog Paul mit einer Kopfbewegung in Richtung Sammy beiseite, der keine Ahnung hatte, daß er beobachtet wurde. Ein gepreßtes Wort drang aus dem schmalen Mund des Mannes:
    »Jude?«
    »Mein Gehilfe? Das weiß ich nicht.« Es war Paul nie in den Sinn gekommen, sich zu fragen, ob Sammy Jude war oder nicht. »Ist das wichtig?«
    »Seien Sie mit Ihren Tischnachbarn sehr diskret. Sie könnten an seiner Gegenwart Anstoß nehmen«, erklärte der Offizier und ließ ihn stehen. Verdattert starrte ihm Paul nach. Er wußte, daß Europa eine Brutstätte des Antisemitismus war, vor allem Deutschland und Österreich. Aber manchmal vergaß er das, weil er mit sinnvollen Dingen beschäftigt war.
    Kurz darauf sah er den Kaiser und zwei seiner Gefolgsleute auf sich zukommen. Der Kaiser besaß eine große Auswahl an Uniformen, von denen ihn jede einzelne als Mitglied eines bestimmten Regiments auswies. Heute abend trug er die glänzende Uniform eines Kavalleristen.
    »Herr Crown, guten Abend. Wie kommen Sie voran? Sind Sie zufrieden mit Ihren Filmen?«
    Paul verbeugte sich. »Sehr zufrieden, Eure Majestät.«
    »Wir wollen, daß alle Welt das Militär und die Rüstung des Vaterlandes sieht. Ihr früherer Präsident Theodore Roosevelt war ziemlich beeindruckt von der Militärschau, zu der

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