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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Ungläubigkeit, dann Ablehnung. Der Oberst starrte auf das Ende des Tisches, wo die beiden Zivilisten immer noch auf ihren Stühlen saßen.
    »Haben Sie etwas gegen den Trinkspruch, mein Freund?«
    »Mit allem Respekt, Herr Oberst, aber ich verherrliche das Töten nicht. Zumindest nicht das vorsätzliche.«
    Am anderen Ende des Saals sah Paul das bleiche Gesicht des Kaisers. In dem zugigen steinernen Raum verwischten die elektrischen Lichter die Gesichtszüge in einem Maße, daß alle, die jetzt Paul und Sammy anstarrten, wie Leichen aussahen.
    Die Augen des Obersten huschten zur einen Seite, dann zur anderen. Da er sicher sein konnte, im Mittelpunkt zu stehen, sprach er mit erhobener Stimme.
    »Darf ich dann fragen, was Sie hier, im Schutz unserer Gastfreundschaft, zu suchen haben? Das scheint mir doch eine eklatante Heuchelei zu sein.«
    Paul knüllte seine Serviette zusammen und stand auf. Das Bier, die Müdigkeit und der Ekel vor diesen Menschen hatten ihn eine Grenze überschreiten lassen - ein Schritt, für den er normalerweise zu besonnen war.
    »Vielleicht haben Sie recht.«
    »Schlage vor, Sie erheben Ihren Krug, oder Sie gehen.«
    Paul schluckte; sein Blick fiel auf einen der Söhne des Kaisers, der seinen Degen schon halb gezogen hatte. »Komm, Sammy. Wir sind schon zu lange hier.« Er verbeugte sich. »Majestät.«
    Der Kaiser blieb stumm. Sein Mund war zusammengepreßt, seine blauen Augen funkelten zornig.
    Als sie den Saal verließen, erhob sich hinter ihnen ein grotesker
    Aufschrei - tosendes Gebrüll aus Trotz und Haß, das Paul an das Bellen einer Hundemeute erinnerte. Er vergaß seinen Bowler und seinen Mantel, als er aus der Festung in den Hof und von dort zum Tor hinauseilte, das auf einen Weg zum Flußufer führte. Sammy bemühte sich, mit ihm Schritt zu halten.
    Sie wandten sich nach Norden, in Richtung der Hauptbrücke über den Main. Am anderen Ufer leuchteten die Lichter der Stadt, unschuldig wie Puppenhäuser unter dem Weihnachtsbaum. »Mein Gott, ich habe den Kopf verloren; ich hätte mich nicht so gehenlassen dürfen«, murmelte Paul.
    »Was zum Teufel war denn los, Chef?«
    Paul erklärte ihm die Bedeutung des Trinkspruchs. »Für den Tag leben sie. Dafür planen sie. Sie können es nicht erwarten, bis er da ist. Es sind zwar nicht alle Deutschen so, aber die in der Umgebung des Kaisers allemal, und sie werden die anderen mitziehen.«
    Vom Herbstwind vorangetrieben, überquerten sie den Fluß und begaben sich in ihr nobles Hotel in der Nähe der Luitpold-Brücke. Paul bat den Nachtportier um einen Eisenbahnfahrplan, aus dem ersichtlich wurde, daß es um halb drei Uhr morgens einen Zug nach Frankfurt gab.
    »Den nehmen wir«, sagte er zu Sammy.
    »Wollen Sie nicht Ihren Hut und Ihren Mantel holen?«
    »Nein. Auch für zehn Mäntel ginge ich nicht in dieses Schlangennest zurück. Laß uns packen!«
    Als sie kurz vor zwei Uhr auf dem Weg zu einem Taxistand waren, wurde Paul vom Nachtportier eingeholt, der ihm mit einem freudigen »Mein Herr! Meine herzlichsten Glückwünsche!« ein Telegramm reichte:
    FRANCESCA CHARLOTTE UM ZEHN NACH ACHT LONDONER ZEIT ZUR WELT GEKOMMEN ALLE WOHLAUF IHRE FRAU KANN ES KAUM ERWARTEN BIS SIE IHRE TOCHTER SEHEN
    FOLLETT
    »Das Baby?« fragte Sammy, der ihm über die Schulter blickte.
    Paul warf ihm einen seltsamen, kummervollen Blick zu.
    »Es geht ihr gut. Julie geht es gut.«
    Aber der Welt ging es nicht gut, in der Welt war es dunkel und kalt wie in einer stürmischen Herbstnacht. Obwohl er in vielerlei Hinsicht stolz darauf war, Deutscher zu sein, gab sich Paul keinen Illusionen darüber hin, was das bedeutete. Dunkles Gift floß im deutschen Blut. In der Natur der Deutschen lag ein Zorn, durch nationalen Wahn geschürt und durch eine Arroganz verstärkt, die sich auf außergewöhnliche Errungenschaften der Vergangenheit in Wissenschaft und Literatur, Musik und Bildungswesen stützte - also auf ihre Kultur, die die Deutschen so anmaßend machte. Die schlechtesten deutschen Eigenschaften traten in besonderem Maße im preußischen Junkertum zutage. Die Junker wollten den Krieg, und Paul war überzeugt, daß es ihnen irgendwie gelingen würde, ihn herbeizuführen. Das war die Welt, in die seine kleine Tochter heute abend hineingeboren worden war.
47. IN DER UNTERGRUNDBAHN
    Nachdem ihre Entscheidung gefällt war, fühlte sich Fritzi erleichtert. Aber sie blieb extrem vorsichtig, wenn sie auf den von Menschen wimmelnden Straßen der Stadt unterwegs war.

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