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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Sorgfältig prüfte sie alle Gesichter und warf oft einen Blick über die Schulter nach hinten, vor allem, wenn sie notgedrungen noch nach Einbruch der Dunkelheit unterwegs war.
    Harry Poland hatte dreimal angerufen und jedesmal eine Nachricht hinterlassen. Die ersten beiden ignorierte sie, aber beim dritten Mal tat er ihr leid. Sie rief im Hotel Mandrake an. Er bat um ein Treffen, nur ein einziges, um Abbitte zu leisten - zu beweisen, daß er sehr wohl ein vollendeter Gentleman war.
    Fritzi zögerte. Mit einem verheirateten Mann zweimal auszugehen, das schickte sich nicht. Andererseits hatte sie Harrys Gesellschaft genossen, bis zu dem Augenblick des geraubten Kusses, und selbst der war nicht ohne, wenn auch schuldbewußte Wonne gewesen. Aber mußte sie wirklich ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie dafür sorgte, daß alles innerhalb bestimmter Grenzen blieb? Harrys Frau war unzurechnungsfähig, und er schien voller Schuldgefühle ihr gegenüber zu sein.
    »Also gut, ja - Abendessen am Samstag. Ich erzähle Ihnen dann von meinen Plänen für das neue Jahr.«
    New York erstrahlte im Glanz all der farbigen Lichter, die vor Weihnachten in den Schaufenstern und an den Fassaden der Geschäfte angebracht waren. Ein warmer Wind aus dem Süden ließ das Thermometer bis über zehn Grad ansteigen. Harry holte Fritzi in einem Taxi ab und wies den Fahrer an, sie zu einem Restaurant namens Bankers in der Liberty Street zu fahren, wenige Straßenzüge oberhalb der Wall Street. Als er ihr aus dem Taxi half, sah sie die Scheinwerfer eines Autos, das hinter ihnen am Broadway anhielt. Jemand stieg aus einem Taxi und verschwand im Schatten eines dunklen Gebäudes. In ihrem Kopf klingelte eine Alarmglocke.
    Das Bankers war klein, elegant und teuer. Ihre Gespräche während des Essens waren lebhaft und höflich, ohne jede Andeutung auf das, was beim letzten Mal vorgefallen war, obwohl Fritzi Harrys schmachtende Blicke keineswegs entgingen. Sie erzählte ihm von Pals Vorhaben, den Winter über nach Kalifornien zu gehen.
    »Das ist ja großartig, Fritzi - dort haben Sie’s schön warm. Irgendwann möchte ich die Pazifikküste auch mal sehen. Ich würde mich sofort auf den Weg machen, wenn mich jemand einlüde.«
    »Harry«, sagte sie stirnrunzelnd.
    »Verzeihen Sie! In Ihrer Gegenwart kommen mir die verrücktesten Ideen.«
    Sie lächelte, obwohl sie hätte verärgert sein sollen. Er war ein attraktiver Mann - charmant, kultiviert, mit dieser gewissen Unschuld der Alten Welt.
    Als sie das Restaurant verließen, entzückte sich Fritzi an der milden Luft und dem klaren Sternenhimmel über den Wolkenkratzern der New Yorker Finanzmeile. Das gute Essen und der Wein hatten sie die angstvolle Ahnung von vorhin vergessen lassen. Harry fragte, ob sie Lust auf einen kleinen Spaziergang habe, was sie spontan bejahte. Sie ergriff seinen Arm. So schlenderten sie auf dem Broadway in Richtung Rathaus.
    Nach zwei Straßen fragte er: »Hätten Sie Lust, den Abend stilvoll ausklingen zu lassen?«
    »Was schwebt Ihnen vor?«
    »Eine Fahrt mit der Untergrundbahn.«
    »Mit der Untergrundbahn?« wiederholte sie überrascht. »Macht Ihnen das etwa Spaß?«
    »Sehr sogar. Die New Yorker Untergrundbahn ist eines der Weltwunder unseres Zeitalters. Ich fahre damit, sooft ich kann. Der Bankier August Belmont hat sie finanziert, müssen Sie wissen. Die erste Linie zur Hundertfünfundvierzigsten Straße wurde 1904 eröffnet. >Fünfzehn Minuten bis Harlem< war die Losung. In der Untergrundbahn trifft man alle Arten von Menschen, von der großen Dame bis zur Verkäuferin. Die Wagen sind sauber, die Luft ist frisch und kühl
    - und das alles für einen Nickel! Sollen wir?«
    »Also gut, warum nicht?«
    »Wir fahren bis zur Haltestelle Dreiundzwanzigste Straße«, sagte er und eilte bereits voraus, in Richtung eines der bekannten Pavillons aus Schmiedeeisen und Glas, der vor jedem Eingang stand. »Sind diese Pavillons nicht sehenswert? Wußten Sie, daß sie den Sommerhäusern in der Türkei nachempfunden sind?«
    Obwohl es fast zehn Uhr war, herrschte an der Haltestelle reges Kommen und Gehen. Harry kaufte am Fahrkartenschalter ihre Billetts, die er anschließend einem Mann in Uniform aushändigte, der sie wiederum in einen Behälter fallen ließ. Ein Luftzug und ein lautes Geräusch kündeten von der Abfahrt eines Zuges.
    »Das war ein Nahverkehrszug«, sagte Harry und ließ den Blick über den überfüllten Bahnsteig gleiten. »Der Express fährt alle sechs Minuten,

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