Fremde Federn
habe mich geirrt.« Er schleuderte die leere Flasche zu Boden, wo sie mit lautem Klirren auf den Fließen zerbarst.
»Ich will Ihnen etwas sagen. Ich kenne noch andere Filmleute, die nach El Paso kommen. Einer von denen wird mein Angebot annehmen.«
»Wahrscheinlich«, gab Paul zu und nickte.
»Mit diesem weisen Mann werde ich meine Geschäfte machen.«
»Daran zweifle ich nicht.«
Villa sprang auf. Paul erschrak, und sein Herz fing wieder an zu hämmern.
»Sie verlassen diese Stadt und den Staat Chihuahua. Ich erlaube Ihnen, Ihre Kamera zu behalten, damit Sie wenigstens ein paar Bilder von unserer Revolution haben und eines Tages wünschen können, Sie wären nicht so dumm gewesen. Sollten Sie die Grenze noch einmal überschreiten, Sie und Ihr Assistent, und wir Sie dabei erwischen, zeigen wir Ihnen die Ziegelwand. Dann wird es vorher allerdings keine Unterhaltung mehr geben. Schafft sie fort!«
61. DER ENGLISCHE EDGAR
Fritzi und Lily fuhren mit der großen roten Trambahn sechs-, manchmal sogar siebenmal in der Woche nach Edendale. Fritzi wurde am Sonntag oft nicht gebraucht, aber Lily arbeitete für gewöhnlich in ihrem kleinen Büro oder in ihrem Schlafzimmer an einem neuen Drehbuch. Die chinesische Folter. Verrückt nach Liebe. Rauchende Pistolen. Sie war gewandt und schnell; sie hatte eine Gabe für das Erzählen von Geschichten. Pelzer mochte Lily und schätzte ihre Arbeit. Er erhöhte ihr Gehalt auf sechzig Dollar pro Woche.
Mit wachsendem Selbstvertrauen sah sich Lily jeden fertigen Film auf seine Stärken und Schwächen hin an. Wenn ihr etwas mißfiel, brachte sie dies auch zum Ausdruck. Über eine Sache lag sie ständig in Streit mit Eddie:
»Es ist idiotisch, die Dialoguntertitel an den Anfang der Szene zu setzen. Sie sollten erst dann erscheinen, wenn tatsächlich gesprochen wird.«
Obwohl Eddie in vieler Hinsicht experimentierfreudig war, in diesem Punkt beharrte er auf der herkömmlichen Methode:
»Alle machen es anders.«
»Was kümmern dich >alle<, um Gottes willen? Die besten Filmleute machen es nicht so. Griffith, zum Beispiel. Versuch es doch wenigstens, Eddie. Versuch es nur ein einziges Mal!«
Als sie ihn ungefähr zum fünften Mal bearbeitet hatte, gab er nach; es handelte sich um einen rührseligen Zweispuler mit dem Titel Wo ist mein Vater? Eddie hatte genügend Format, um zuzugeben, daß es funktionierte. Er lobte Lily, daß sie ihre Überzeugung konsequent vertreten hatte, und versprach, diese Technik immer dann anzuwenden, wenn sie angebracht war. »Zum Teufel mit dem, was Al dazu meint.«
B. B. und Sophie verließen Los Angeles für zwei Monate; sie segelten von New York nach England, um in London einen Verleih aufzu-bauen; anschließend überquerten sie den Kanal, um in Berlin und Paris die Filme der Firma zu verkaufen. Auf Fritzis Drängen hin trafen sich die Pelzers mit Paul und Julie zu einem großen Abendessen im Café Royal in London. Julie schrieb, daß sich B. B. mit Paul um die Rechnung gestritten und gewonnen habe.
Im Vorort Edendale wurde es immer lebhafter. Fritzis alter Bekannter Michael Sinnott mietete unter seinem neuen Namen Mack Sennett ein Grundstück in der Nähe der Liberty an. Macks Firma hieß Keystone, nach dem Firmenzeichen der Pennsylvania Railroad, das er ohne Bedenken verwendete. Mack hatte seine zierliche Freundin, eine Brünette namens Mabel Normand, sowie ein paar zuverlässige Schauspieler mit in den Westen gebracht. Er produzierte weiterhin die Art von närrischen Kriminalkomödien, die Griffith als albern abqualifiziert hatte.
Die Frau des umgänglichen und begabten Schauspielers Geoffrey Germann, der Owen in der Rolle des einsamen Indianers abgelöst hatte, arbeitete freiberuflich als Kostümschneiderin für Filmfirmen. Im Spätsommer des Jahres 1913 wurde Maybelle für mehrere Wochen auf Mack Sennetts Filmgelände in derselben Straße eingestellt. Geoff lud Fritzi zur Abendvorführung eines neuen Films ein, mit anschließendem Picknick, wie es auch B. B. nach dem Abdrehen eines Liberty-Films häufig ausrichtete.
Sennetts Gebäude, die Nummer 1712 der Alessandro Street, ähnelte dem vom Liberty, obwohl es über einen eindrucksvolleren Eingang verfügte, einen hölzernen Torbogen mit einem großen Schild, auf dem zu lesen stand:
MACK SENNETT
Keystone-Komödien
Auf dem Grundstück wurde eifrig gebaut. Die Außenwände eines neuen Gebäudes, das an einer Ecke von einem Turm begrenzt war, standen bereits. Ein Mann, der gerade einen
Weitere Kostenlose Bücher