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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Tür zu. Der Novemberwind wirbelte ein paar Schneeflocken herbei. Carl zitterte.
    Die Tür ging wieder auf. Vor ihm stand Tess, etwas kräftiger geworden, mit einer Lesebrille auf der Nase. Ein großer elektrischer Kronleuchter in der Eingangshalle streute glitzernde Lichter in ihr blondes Haar. Einen Augenblick lang schien sie zu schwanken; er fürchtete, sie würde ohnmächtig werden.
    »Ich hätte nicht gedacht, daß ich den Augenblick noch erlebe, Carl.«
    »Na ja, ich eigentlich auch nicht«, erwiderte er verlegen. »Ich bin auf der Durchreise. Gehe in Montreal auf ein Schiff nach Frankreich.«
    »Du lieber Gott! Immer noch der Vagabund. Du mußt ja durchgefroren sein. Bitte, komm herein!«
    Als sie die Tür schloß, bemerkte er den Verlobungsring mit einem großen Diamanten an ihrer linken Hand und dazu den schmaleren Ehering. »Mein Freund Jesse hat mir erzählt, daß du geheiratet, deinen Mann aber verloren hast«, sagte er. »Das tut mir sehr leid.«
    Tess holte tief Luft. Sie war so angenehm rund, genau so, wie er sie aus den schmerzlichen Tagen der Liebe und des Verlustes in Erinnerung hatte. »Ich habe Wayne nie geliebt. Ich habe ihn geheiratet, weil Vater es so wollte und weil du nicht mehr da warst - na ja, wir wollen die Vergangenheit nicht mehr aufrühren, nicht wahr?«
    Aus dem rückwärtigen Teil des Hauses kam ein kleiner Junge von fünf oder sechs Jahren durch die Schwingtüren auf sie zugerannt. Er lief zu Carl, musterte ihn und streckte ihm die Hand entgegen. »Hallo. Sie sind der Gast. Wie heißen Sie?«
    »Carl«, antwortete er belustigt. Er schüttelte ihm die Hand. Der Junge war kräftig gebaut, hatte kurze Beine und breite Schultern. Er hatte die gleichen braunen Augen wie Carl, aber Carl sah nur Tess in seinem Gesicht.
    »Ich heiße Henry«, sagte der Junge mit großem Ernst.
    »Mein Prinz Hal«, sagte Tess und fuhr ihm liebevoll durchs Haar. Dann gab sie ihm einen Klaps auf den Hintern. »Zeit für’s Bett.« Henry rannte winkend die Treppe hinauf. »Henry ist der zweite Name meines Vaters«, erklärte Tess. Sie ergriff seine Hand und drängte ihn mit sanfter Gewalt in einen erleuchteten Wohnraum. »Erzähl mir, warum du nach Europa gehen willst.«
    Tess klingelte dem Butler, der Carl jetzt mit mehr Achtung behandelte, als er ihm Whiskey und Tess heißen Tee in einer Tasse mit Goldrand servierte. Ihre Augen waren weich und warm, als sie auf den Schal deutete. »Kämpfst du noch immer gegen Drachen und Sarazenen?«
    »Könnte man so sagen. Ich werde beim französischen Luftwaffenkorps fliegen. Ich bin seit einem Jahr Flugzeugpilot.«
    »Ist es nicht verboten, sich als Amerikaner zur französischen Armee zu melden?«
    Carl zuckte die Schultern; der herrliche braune Whiskey taute ihn ein bißchen auf. »Ich glaube nicht, daß Wilson Detektive ausschickt, mich oder irgend jemanden, der auf Seiten der Alliierten kämpft, einzusperren. Mein Freund René - er ist es, der mich zu der Sache überredet hat - hat mich davon überzeugt, daß man sich in diesem Krieg nicht neutral verhalten darf.«
    »Aber wie kannst du auf deren Seite kämpfen, wenn es verboten ist?«
    »Es ist nicht verboten, in die französische Fremdenlegion einzutreten. Man meldet sich in Paris, dort werden dann die Papiere so lange hin und her geschoben, bis man schließlich Mitglied des Luftwaffenkorps ist. Und Woodrow ist es zufrieden, weil er denkt, man schiebe irgendwo in der Wüste Wache.« Er gestikulierte mit seinem Glas. »Ich hatte die Nase schon voll von diesem alten Narren, als er mich aus Princeton rausgeworfen hat. Hab’ ich dir das überhaupt erzählt?«
    »Wie er den besten Footballspieler verloren hat? Du hast.«
    »Du lieber Himmel, wir haben viel geredet, wie?«
    »In so kurzer Zeit«, antwortete Tess und sah sehnsüchtig aus. »Ich wünschte, es hätte weitergehen können ...« Bei den Worten schoß ihr die Röte in die Wangen. Sie senkte die Augen auf ihre Teetasse.
    Eine Stunde lang schwelgten sie in Erinnerungen. Dann erhob sich Carl, um sich zu verabschieden. Tess hängte sich bei ihm ein; die Berührung ihrer runden Brüste weckte das alte Verlangen und löste den alten Widerstreit in ihm aus.
    »Du hast einen prächtigen Sohn«, sagte er an der Tür.
    »Ja. Ich wünschte, du könntest länger bleiben und ihn kennenlernen.«
    »Ich habe René versprochen, ihn in zwei Tagen zu treffen.«
    Sie seufzte. »Es wird immer neue Drachen geben.«
    »Aber nicht mehr so viele Sarazenen, die Hunnen haben sie

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