Fremde Federn
segelten auf den Schaumkronen. Die deutsche Flagge flatterte am Fahnenmast auf dem Kommandoturm. Wilhelmshaven mit seinen sauberen Straßen und Strandpromenaden bot ein malerisches und friedliches Bild im winterlichen Sonnenschein.
Paul schob den Schirm seiner Mütze nach hinten und beugte sich zur Kamera vor. »Fertig, es geht los.« Kapitänleutnant Waldmann ging in Habtachtstellung und salutierte stramm vor der Kamera. Sammy drehte ihm den Rücken zu und spuckte zur anderen Seite aus. Mehrere Matrosen beobachteten ihn und murmelten etwas. Sammy antwortete mit einem eisigen Blick.
Am Abend, wieder an Land, aßen Paul und Sammy gemütlich in einem gastfreundlichen Wirtshaus, das mit Zweigen, Kerzen und einer Krippe weihnachtlich geschmückt war. Draußen sangen Kinder
mit hohen Stimmen Stille Nacht, heilige Nacht.
Sammy fragte Paul nach seiner Unterhaltung mit dem Kapitänleutnant. Paul berichtete.
»Als ich ihn eindringlich fragte, was passieren würde, wenn er auf ein Passagierschiff stieße, das angeblich Waffen transportiert, versuchte er den Eindruck zu vermitteln, als würden weder er noch andere U-Boot-Kommandanten das Feuer eröffnen. Es klang jedoch nicht überzeugend.«
»Wie denn auch, dieser hinterhältige Hund« - Sammy stippte die Soße mit einem Stück Schwarzbrot auf -, »der torpediert ’ne Schiffsladung Kinder, wenn irgend ’n Admiral es befiehlt - er und alle anderen in ihren gelackten Uniformen.«
Paul war überzeugt, daß Sammy allen Grund zu diesem Pessimismus hatte. Der barbarische Krieg, der an der Westfront ausgetragen wurde, drohte, sich noch vor Weihnachten mit der U-Boot-Flotte auch auf das Meer auszudehnen. London beschuldigte Berlin wiederholt, gültige Kriegsabkommen zu mißachten und Angst und Schrek-ken zu verbreiten.
Paul trank den letzten Schluck seines starken Weihnachtsbiers. »Vielleicht hast du recht. Ich glaube, daß es meine Pflicht ist, in die Vereinigten Staaten zurückzukehren und wenigstens zu berichten, was ich hier gesehen und gehört habe. Millionen von Menschen auf der anderen Seite des Ozeans schlafen.«
»Wahrscheinlich glauben sie, daß der Atlantik sie schützt, oder?« meinte Sammy.
»Das stimmt. Es wird Zeit, daß Amerika aufwacht und sieht, was in der Welt vor sich geht. Die Gefahr begreift. Man muß den Menschen die Wahrheit erzählen.«
»Ist ehrenwert von Ihnen, daß Sie’s versuchen wollen, aber alleine werden Sie’s nich’ schaffen.«
»Ich kann einen Anfang machen«, sagte Paul.
78. WINTER DER UNZUFRIEDENHEIT
Im Winter brach die Dunkelheit früh über die Berge und die Küste Kaliforniens herein. Fritzi haßte den Sonnenuntergang, denn er bedeutete, daß die Stunde des Schlafs näher rückte. Schlaf bedeutete für sie keine Erlösung, sondern Alpträume von Verlust, Versagensängsten, Verfolgung, ja Tod. In einem Traum, der ständig wiederkehrte, war sie Richard III. bucklig und häßlich, der wütend mit seinem Schicksal haderte. In einem anderen Traum ritt Loy auf einem Hengst mit wehender Mähne davon, lachend und für immer unerreichbar.
Sie haßte dieses Weihnachtsfest 1914; alles war ihr eine Last: das Einkaufen, Einpacken, Wegschicken, Verschenken. Sie empfand nichts, nur Leere und Traurigkeit. Die Weihnachtslieder klangen für sie disharmonisch, die Festtagswünsche von Freunden und Bekannten geheuchelt und nichtssagend.
Eines Abends begann Fritzi, in Mrs. Hongs Küche zu kochen; mitunter kochte sie sogar für Lily mit. Sie beschränkte sich jedoch stets auf einfache Gerichte, bei denen man nicht viel falsch machen konnte. Vorwiegend kohlenhydratreiche, sättigende Gerichte wie Spaghetti; wenn sie allein aß, schlang sie mehrere Teller davon hinunter und trank Bier dazu. Von einer kleinen Bäckerei in Venice brachte sie ganze Tüten voller Brötchen mit nach Hause und stopfte zwei oder drei in sich hinein. Der Grund, warum sie so gierig über Eßbares herfiel, war zum einen die tröstende Wirkung des Essens, zum anderen ihre Überzeugung, sie sei zu dünn und daher nicht begehrenswert. Eine Ansicht, die sie schon ihr ganzes Leben begleitete.
Sie kam zu der Erkenntnis, daß zu viele traurige Erinnerungen in dem Bett ihres gemieteten Zimmers ruhten. Nachdem sie mit Lily gesprochen und ihre Schulden beglichen hatte, mietete sie ein kleines Haus an einer hügeligen Seitenstraße der North Whitley in Hollywood. Das Häuschen war im sogenannten mediterranen Stil Kaliforniens erbaut, es erfreute das Auge mit goldenem Stuck und
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