Fremde Federn
nach dem Tisch greifen, doch er war bereits aus ihrer Reichweite getrieben. Sie fiel nach hinten und versank im Wasser, als er immer noch etwa sechs Meter von ihr entfernt war.
»Sophie!«
Mit einem letzten donnernden Tosen und in einer Sturzflut aufgepeitschten Wassers verschwand auch das Heck der Lusitania und hinterließ einen schäumenden Wirbel und ein Meer ertrinkender Menschen. Das Schiff versank, nachdem es von dem Torpedo getroffen worden war. Sophie Pelzer verschwand mit ihm in der Tiefe.
81. MARSCHIEREN
Eine Flotte von Fischerbooten und Schleppern aus Queenstown rettete siebenhunderteinundsechzig Menschen aus der Irischen See. Von den elfhundertachtundneunzig Passagieren der Lusitania, die ums Leben kamen, waren hundertvierundzwanzig amerikanische Staatsbürger, viele davon Berühmtheiten: der Theaterproduzent Charles Frohman, Alfred Vanderbilt und Mr. und Mrs. Elbert Hubbard.
In Deutschland wurde der Untergang des Schiffes als großer Sieg gefeiert; der Kaiser erklärte den Tag zum Nationalfeiertag. Durch die Vereinigten Staaten ging eine Woge des Entsetzens. The Nation urteilte: »eine Tat, für die selbst ein Hunne erröten muß«. In vielen Leitartikeln wurde die Warnung von Seiten der Botschaft als »Todesanzeige« bezeichnet. Deutschland wurde »mutwilliger Mord«, »ein Schlag ins Gesicht der Menschlichkeit«, »das schlimmste Verbrechen eines Volkes seit der Kreuzigung Christi« vorgeworfen. Manche Herausgeber forderten die sofortige Kriegserklärung.
Deutschamerikaner mieden tunlichst das Auge der Öffentlichkeit. In einigen Städten wurden Fensterscheiben von Bäckereien, Gaststätten und Fleischerläden, die in erster oder zweiter Generation Deutschen gehörten, mit Steinen beworfen. Vor der Brauerei Crown legte ein unbekannter Vandale bei Nacht ein kleines Feuer, das einen Lieferwagen niederbrannte und einen Lastwagen beschädigte, bevor die örtliche Feuerwehr eintraf.
Liberty überschwemmte die Verleiher mit Rennbahn-Nell, aber Fritzi fühlte viel zu sehr mit B. B. um einen Gedanken daran zu verschwenden. Sie weinte eine Stunde lang, als sie von Sophie Pelzers Tod erfuhr.
Das Studio verpflichtete Krankenschwestern, die B. B. von England nach Hause begleiteten. Der Tod seiner Frau hatte ihn so mitgenommen, daß er nicht imstande war, allein zu reisen. Die Ärzte wie-sen ihn in Haven Hill ein, ein Privatkrankenhaus inmitten eines vier Hektar großen Parks, umgeben von den Orangenhainen Riversides. Am ersten Sonntag nach seiner Ankunft fuhren Fritzi und Hobart mit Schatzi hinaus, um B. B. zu besuchen.
Die unbefestigten Straßen waren die reinsten Rillenpisten. Als Fritzi einem riesigen Schlagloch auswich, stellte Hobart fest: »Ganz schön weit weg von der Stadt. Bestimmt gibt es auch näher gelegene Krankenhäuser.«
»Kelly hat es ausgesucht. Er sagte, das wichtigste sei optimale Pflege.«
»Vielleicht legte er eher Wert auf die Entfernung vom Studio«, bemerkte Hobart trocken.
Vor dem Sanatorium band Fritzi Schatzis Leine um den Schaltknüppel. Kläglich winselnd fügte sich der Dackel seinem Schicksal, und Fritzi betrat mit Hobart das Hauptgebäude. Ein Pfleger führte sie durch eine Hintertür ins Freie, wo B. B. allein auf einer Bank unter einer Palme saß und mit unbeweglicher Miene vier Patienten in Bademänteln beim Krocketspiel zusah. Weiter hinten warf ein Wassersprenger seine Fontänen auf den trockenen Rasen. Das Klicken der Krocketbälle war das einzige Geräusch in dieser Stille.
B. B.s gelocktes graues Haar war weiß geworden. Eine leichte Wolldecke lag über seinen Beinen. Sein Morgenmantel war auf der Vorderseite fleckenübersät. Fritzi war bestürzt, ihn so teilnahmslos und ungepflegt anzutreffen. »Hallo, B. B.«, sagte sie sanft. »Wie geht es Ihnen?«
»Gut. Und Ihnen?« Er bemerkte Hobart, der im Schatten stand und nervös sein schwarzes Barett knetete. »Und Ihnen?« fügte er geistesabwesend hinzu.
Fritzi nahm B. B.s Hand und drückte sie zwischen ihren Händen, wie er es mit ihr immer getan hatte. Er reagierte nicht. »Fühlen Sie sich hier wohl?«
B. B. zuckte mit den Schultern. »Ist schon in Ordnung.«
»Es tut uns allen so leid wegen Sophie. Sie war eine gute Frau.«
»Sophie.« Sein Blick glitt an den hellbraun verputzten Gebäuden vorbei zu den niedrigen Hügeln mit den Orangenbäumen. Er legte die Finger der rechten Hand an die Augenbraue, seine klassische sorgenvolle Haltung. »Arme Sophie.«
Die Unterhaltung schleppte sich noch zehn Minuten
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