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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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hatte.
    Sie waren ein bißchen erstaunt, als das Bibliothekshirn sie
mit samtweich grollender Stimme um ihre Aufmerksamkeit bat. Es
kündigte für den nächsten Tag-Nacht-Zyklus eine
signifikant hohe Wahrscheinlichkeit für bedeutsame Ereignisse
an. Die Intensität menschlicher Aktivität war extrem. Alles
deutete auf eine Korrelation zum Zentralen Widerspruch hin.
    Auf dem Wandschirm wurde es ›Tag‹.

 
25
     
    Dahar trug den Leichnam des Delysiers durch die Sperrzone zur
Kommandohalle; er spürte weder das Gewicht des fremden
Körpers noch sein eigenes. Er ging getrennt von seinem
Körper, besah sich von außen, löste sich von dem, was
er tat, um sich doppelt unter Kontrolle zu haben. Ein alter Trick.
Als Junge hatte er schon damit begonnen, zu einer Zeit, da die
Gleichaltrigen sich mehr und mehr von ihm absonderten, weil er
unbedingt ein Priesterkrieger werden wollte; er hatte herausgefunden,
daß ihm das half, die Verleumdungen und kleinen Grausamkeiten
zu ertragen, die er damals noch nicht verstehen konnte. Dahar geht
über den Trainingsplatz und ignoriert den Jonkilkopf, den man
ihm nachwirft, hatte er sich gesagt, als hätte er etwas
kommentiert, das einem anderen widerfuhr.
    Später, als er verstand, warum die Krieger Angst vor ihm
hatten, war ihm diese Trennung zwischen sich und seinem Körper
zur Gewohnheit geworden, und dann hatte er gar nicht mehr anders
gekonnt. Wenn ihm Krieger, die er zu heilen versuchte, unter den
Händen starben, weil er einfach zu wenig wußte, dann trat
er aus sich heraus, schlüpfte in die Rolle eines Beobachters und
nahm der Verzweiflung die Spitze, indem er einen wesentlichen Teil
seines Selbst aus dem Tod, dem Zorn und dem Versagen heraushielt.
Ohne die Fähigkeit, aus sich herauszutreten, wäre er nicht
Priesterkrieger geblieben, und – er hatte festgestellt,
daß ihn diese Fähigkeit auch zu einem besseren
Kämpfer machte. Er konnte den Kampf von außen beobachten,
behielt einen kühlen Kopf und konnte die Hitze des Gegners zu
seinem Vorteil nutzen.
    Genau das mußte er jetzt tun. Er durfte jetzt nichts falsch
machen, durfte sich keine Blöße geben; sein
ohnmächtiger Zorn würde dem Gegner nur in die Hände
spielen. Besonders jetzt. Besonders, wenn es sich bei dem Gegner um
die Oberkommandierende handelte.
    Die Wachposten ließen ihn passieren, verzichteten sogar auf
den vereinbarten Anruf. Außer der Wache hielt sich niemand in
der unteren Halle auf. Die Kriegerin war noch sehr jung und für
diesen Posten eingeteilt worden, um sie nicht zu überfordern. Er
schickte sie zu Belasir. Nach einem Blick in das Gesicht des
Delysiers trippelte sie entsetzt die Leiter hinauf.
    Dahar ließ den Soldaten zwischen zwei Tischchen zu Boden
gleiten und trat aus sich heraus, um den bevorstehenden Kampf zu
meistern.
    Belasir stieg die Leiter hinunter und durchquerte gemächlich
den Raum, legte sich den Gürtel um, hinter ihr das herbe Gesicht
der Geliebten und die junge blasse Kriegerin. Beiden gab sie mit
einem Wink zu verstehen, zur Leiter zurückzugehen. Sie sah auf
den Delysier hinunter.
    »In der Nähe der Unterrichtshalle«, sagte Dahar.
»Gerade eben. Ich hatte drinnen zu tun.«
    »Drinnen?« sagte Belasir spitz.
    »Grax hat das Daumenschloß mit mir geteilt,
gestern.«
    »In der Unterrichtshalle gibt es keine
Daumenschlösser.«
    »Jetzt wohl. Grax hat es so eingerichtet.« Das gab ihr
zu denken, ganz wie er beabsichtigt hatte; alles, was ihr die
niederschmetternde Macht der Geds vor Augen hielt, war hilfreich.
    Sie starrte auf das zerstörte Auge des Soldaten. Ihr Nicken
hieß, daß er fortfahren sollte.
    »Ich hörte einen Schrei und bin sofort losgerannt. Bis
ich an Ort und Stelle war, war der Mörder auf und
davon.«
    Belasir sagte: »Hast du erst noch die Tür
zugesperrt?« Der trockene Sarkasmus vibrierte vor Zorn und
Zweifel. Waren ihm die Arzneien der Geds wichtiger als ihre
Gesetze?
    Er hatte zugesperrt.
    Einen winzigen Augenblick lang überlegte er, ob er sie
belügen sollte. Dann verwarf er den Gedanken. So nicht, warnte ihn der andere Dahar. Versuch es mit einem
Überraschungsangriff.
    »Richtig. Ich habe erst zugesperrt. Aber ich habe den Krieger
gesehen, bevor er weglief.«
    Belasir sah auf.
    »Du hast ihn gesehen?«
    »Ja.«
    »Und?«
    »Ich habe nicht sein Gesicht gesehen. Aber die Art, wie er
sich bewegt. Das genügt.«
    Belasir nickte; für einen Krieger in seiner Position
genügte das. »Ich komme auf drei Krieger, die sich genauso
bewegen, allerhöchstens

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