Frieden auf Erden
Kontrollsystem arbeitete nämlich allzu gut . Man wußte, daß die Grenzen zwischen den Sektoren unverletzt blieben, mehr aber nicht. Phantasiebegabte oder besorgte Köpfe gebaren die Vision von einem Angriff des unbewohnten Mondes gegen die Erde. Der militärische Inhalt der Sektoren konnte nicht materiell kollidieren und keinen Informationsaustausch pflegen, aber das hatte nur für eine gewisse Zeit gegolten. Inzwischen konnten sich die Sektoren durch Erschütterungen des Mondbodens, über den sogenannten seismischen Kanal, verständigen und diese Vorgänge zur Tarnung den von Zeit zu Zeit auftretenden natürlichen Mondbeben ähnlich machen. Die sich selbsttätig vervollkommnenden Waffen könnten sich letztlich also verbünden und eines Tages ihre fürchterlich gewucherte Ladung auf die Erde loslassen. Zu welchem Zweck sie das tun sollten? Beispielsweise infolge evolutionärer Irrlaufprogramme. Und was sollten die menschenlosen Armeen davon haben, daß sie die Erde in Schutt und Asche legten? Gar nichts natürlich, aber auch der Krebs, der in den Organismen der höheren Tiere und der Menschen so häufig auftritt, ist eine ständige, wenngleich uneigennützige und sogar höchst schädliche Konsequenz der natürlichen Evolution. Als nun auf diesen Mondkrebs das Schreiben und das Reden kam, als einer solchen Invasion Aufsätze, Artikel, Romane, Filme und Bücher gewidmet wurden, kehrte die von der Erde vertriebene Angst vor der atomaren Vernichtung in neuer Gestalt zurück. Das Überwachungssystem enthielt auch seismische Sensoren, und prompt fanden sich Fachleute, die behaupteten, die Beben der Mondkruste seien häufiger geworden und ihre Kurven hätten einen anderen Verlauf als früher. Daraufhin suchte man den Kode zu knacken, den man in diesen Diagrammen vermutete, aber es kam nichts weiter heraus als zunehmende Angst. Die Lunar Agency veröffentlichte Kommuniqués, die die öffentliche Meinung beschwichtigen sollten, indem sie die Chance des Eintreffens solcher Vorfälle auf weniger als eins zu zwanzig Milliarden bezifferten. Selbst so präzise Angaben waren für die Katz, die Furcht war bereits in die Programme der politischen Parteien gesickert, es erhoben sich Stimmen, die eine periodische Kontrolle nicht nur der Grenzen, sondern der gesamten Sektoren verlangten. Sprecher der Agentur widersprachen mit der Erklärung, jedwede Inspektion könne auch Zwecken der Spionage, der Erkundung des aktuellen Stands der Mondarsenale dienen. Nach langen, verwickelten Beratungen und Konferenzen bekam die Lunar Agency endlich die Vollmacht, Überprüfungen vorzunehmen. Das wiederum erwies sich als gar nicht so leicht. Keiner der entsandten Aufklärungsautomaten kehrte zurück oder gab über Funk auch nur das kleinste Zirpen. Man schickte spezialgesicherte Landefähren mit Fernsehausrüstung. Die Satellitenbeobachtung ergab, daß sie tatsächlich an den vorausbestimmten Stellen – im Mare Imbrium, im Mare Frigoris und Nectaris, stets im Niemandsland zwischen den Sektoren – niedergingen, aber keine übertrug auch nur das geringste Bild. Es schien, als habe der Mond sie verschluckt. Das trieb die Panik natürlich erst recht auf die Spitze, es kam zu einem Fall höherer Notwendigkeit. In den Zeitungen war bereits die Rede davon, daß der Mond mit einem Präventivschlag durch Raketen mit Wasserstoffsprengköpfen bombardiert werden müsse. Solche Waffen hätten zuvor jedoch erst wieder gebaut werden müssen, es wäre wieder zur Aufrüstung gekommen! Dieser Furcht und diesem Durcheinander war meine Mission entsprungen.
Wir flogen über eine dicke Wolkenschicht. Die Scheitel ihrer sanften Wellen färbten sich allmählich rosa von den Strahlen der aufgehenden Sonne. Ich dachte darüber nach, warum ich alles Irdische so gut behalten hatte, während ich mich so wenig an die Vorfälle auf dem Mond erinnern konnte. Die Ursachen ließen sich denken, nicht umsonst hatte ich seit meiner Rückkehr medizinische Fachbücher studiert. Ich wußte, daß es ein Langzeit- und ein Kurzzeitgedächtnis gibt. Die Durchtrennung des Balkens rührt nicht an das, was im Gehirn schon fest eingekerbt ist. Alle frischen, eben erst entstandenen Eindrücke verflüchtigen sich und gehen nicht ins Langzeitgedächtnis ein. Am stärksten verflüchtigt sich jedoch das, was der Delinquent kurz vor der Operation erlebt und mitbekommen hat. Ich wußte vieles nicht mehr, was mir in den sieben Wochen auf dem Mond bei meinen Streifzügen von Sektor zu Sektor passiert
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