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Frösche: Roman (German Edition)

Frösche: Roman (German Edition)

Titel: Frösche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Diese Halunken! Bei Wang Bein sind es vielleicht psychosomatische Beschwerden. Aber Oberlippe lügt. Keine Frage, der lügt wie gedruckt. Ich will nicht wissen, wie viele junge Mädchen der während der Kulturrevolution, als er eine Zeitlang so eine Art Boss bei den Roten Garden war, ins Bett und damit ins Unglück gezerrt hat. Wäre er nicht sterilisiert gewesen, hätte er Bedenken gehabt, ein Mädchen zu schwängern. Er hätte Scham verspürt, Konsequenzen gefürchtet, die solch ein Tabubruch nach sich zieht. Aber so ... war doch nichts zu bedenken.«

15
    Die Kampf- und Kritiksitzung, bei der es Kreisparteisekretär Yang Lin an den Kragen gehen sollte, war überfüllt. Xiao Oberlippe, Leiter des Revolutionskomitees, hatte sich deshalb etwas Besonderes einfallen lassen und das Ganze ans Nordufer unseres Kiaolai-Flusses in das Rückhaltegebiet verlegt.
    Es war tiefster Winter und der Fluss von einer mächtigen Eisdecke überzogen. Soweit das Auge blickte: eine kristallene Welt.
    Ich war der erste, der erfuhr, dass die Massenkritikversammlung hier abgehalten werden sollte, nur deshalb, weil ich den Unterricht oft schwänzte und immer zum Spielen hierherkam. Als ich an jenem Tag dabei war, unten am Schleusentor zum Rückhaltebecken ein Loch zum Angeln ins Eis zu hauen, hörte ich von oben Stimmen. Ich konnte Xiao Oberlippe sprechen hören. Dessen lautes Organ hätte ich auch unter zehntausend Leuten noch herausgehört.
    »Diese scheißverlassene Nordpollandschaft! Wenn wir hier die große Massenkritikversammlung veranstalten, errichten wir das Podium über dem Schleusentor des Rückhaltebeckens.«
    Beim Fluss hatte sich ursprünglich eine riesige Senke befunden. Später hatte man, um problemlos stromabwärts schippern zu können, am Flussdeich des Kiaolai-Flusses Schleusentore für das Rückhaltebecken gebaut und immer, wenn der Fluss im Sommer und Herbst Hochwasser führte und Überschwemmungen drohten, die Schleusentore geöffnet und die Senke in einen See verwandelt. Damals waren wir in Nordost-Gaomi darüber sehr ungehalten, denn unser Boden war, obgleich Senke, doch Ackerland. Er war zwar nur für Mohrenhirse gut gewesen, aber die war auf ihm immer gut gediehen. Die kleinen Leute und Bauern hatten gegen den Staat nichts ausrichten können. Es war zwecklos gewesen, sich zu widersetzen.
    Immer, wenn ich den Unterricht schwänzte, und ich schwänzte oft die Schule, rannte ich zur Schleuse, um den brodelnden, in die Tiefe stürzenden Wassermassen bei ihrem Durchtritt durch die zwölf Schächte zuzuschauen. War das Hochwasser endlich vorüber, war aus dem Rückhaltebecken ein weites Meer geworden, ein sieben oder acht Quadratkilometer umfassender See mit vielen Schrimps und Fischen. Die Angler kamen in Scharen, und es gab auch zahlreiche Fischverkäufer. Zuerst schlugen sie ihre Stände auf den Schleusenmauern auf. Als da nichts mehr frei war, nutzten sie das Ostufer des Rückhaltebeckens und standen einer neben dem anderen mit den Fischern unter den Weiden längs des Ufers. In Hochzeiten waren es oft tausend Meter Fischstände in einer Reihe. Eigentlich war der Wochenmarkt vor der Kommuneverwaltung angesiedelt, aber seit hier ein Fischmarkt abgehalten wurde, zogen immer mehr Marktstände mit anderen Waren hierher um. Die Gemüseverkäufer, die Eierverkäufer und die Erdnussröster waren schon da. Auch die Rumtreiber, Taschendiebe, Schurken und Bettler waren mitgekommen. Die bewaffnete Volkswehr, die die Kommune zusammengestellt hatte, war einige Male vor Ort gewesen und hatte die fliegenden Händler und das Pack vertrieben. Dann herrschte jedes Mal Chaos. Jeder rannte, was er konnte, wenn die Milizionäre kamen. Doch kaum waren sie wieder abgezogen, trauten sich alle wieder hervor und versammelten sich aufs Neue. So bestand der Fischmarkt unerlaubt, aber geduldet, fort.
    Ich für meine Person liebe es, mir Fische anzusehen. Ich sah dort Schuppenkarpfen, Spiegelkarpfen, Silberkarpfen, Karauschen, Welse, Schlangenkopffische, Kiemenschlitzaale. Und Süßwasserkrebse, Schlammpeitzger und Süßwassermuscheln guckte ich mir auch an. Ich erblickte einen wohl über fünfzig Kilo schweren Riesenfisch mit einem Bauch, so weiß und rund wie der einer Schwangeren. Der Alte, der ihn verkaufte, kauerte neben dem Fisch, als gelte es, einen Flussgott zu beschützen. Ich kannte die Fischhändler, die ihre Augen und Ohren immer überall hatten, gut. Sie waren alle meine Kumpel. Warum sie immer als erste und besonders gut informiert

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