Froschkuss (German Edition)
obersten Regalboden. Das Preisschild verriet mir, warum dieses Produkt so gut wie ausverkauft war: Statt für 4,99 € war die Flasche für nur 2,99 € im Angebot. Wie schön, dachte ich, und stellte mich auf die Zehenspitzen, um nach dem Prosecco zu greifen, aber ich kam nicht dran. Eine männliche Hand schob sich an mir vorbei, und da der dazu gehörende Mensch offensichtlich mindestens einen Kopf größer war, erreichte sie die Flasche ohne Probleme. Ich drehte mich zur Seite, in der freudigen Erwartung, den Prosecco in Empfang zu nehmen und mit dem festen Willen, meinem Helfer überschwänglich zu danken, aber ich sah nur noch den Rücken eines kräftig gebauten Herren in einer – wie ich gestehen muss – topschicken Seglerjacke. Dieser Mistkerl hatte sich doch tatsächlich den letzten Prosecco dreist geschnappt, obwohl er doch genau gesehen haben musste, dass ich kurz davor war, mir die Flasche aus dem Regal zu nehmen. „He, Sie da!“, zischte ich laut, und einige Kunden mit bis zum Rand gefüllten Einkaufswagen blieben neugierig stehen. Auch der Seglertyp hielt an, um sich nach mir umzuschauen.
„Lars?!“
Ich war zu verdattert, um irgendetwas anderes zu sagen und mein Ärger war auf einmal vollkommen verflogen, denn stattdessen dehnte sich ein wohliges und erwartungsvolles Kribbeln in meiner Magengegend aus: „Was machst du denn hier?“ Mein Chef und Liebhaber in spe grinste verlegen. Er war wie immer tip top gekleidet: Zu seiner Seglerjacke trug er lässige Vintage Jeans und dunkelbraune Seglerschuhe. Seine Haare waren vom Wind zerzaust und sein Gesicht gerötet. Sonnenbrand? Das sah fast so aus, obwohl es lausekalt war, und die Sonne sich eigentlich so gut wie nie blicken ließ. Noch immer hatte mir Lars nicht geantwortet, sattdessen holte er die Proseccoflasche aus dem Einkaufswagen, in dem sich ein Haufen Leckereien, wie Lachs, Scampi in Dillsoße und Raukesalat, befanden. „Hier, die hattest du dir doch ausgesucht“, sagte er, aber ich machte nur eine abwehrende Handbewegung: „Ne, du lass mal stecken, ich nehme einfach eine andere Marke.“ Ich stand ihm nur wenige Zentimeter gegenüber und betrachtete ihn abwartend. Wie gut dieser Mann roch! Er musste gerade geduscht und sich danach mit einem sehr betörenden Herrenduft besprüht haben. „Bist du allein hier?“, fragte ich neugierig und ohne dass ich irgendetwas dagegen tun konnte, sah ich uns beide schon nackt und von einer unbändigen Leidenschaft getrieben auf mein Kellerdoppelbett in meinem Apartment fallen. Was sollte dieser Zufall sonst zu bedeuten haben? „Nicht direkt“, antwortete Lars und vermied es, mir in die Augen zu schauen. So ein Verhalten hasse ich wie die Pest, denn Menschen, die sich so benehmen, haben immer etwas zu verbergen, da war ich mir absolut sicher. „Wie nicht direkt?“, fuhr ich ihn an, „was soll das denn heißen?“
„Hast du eigentlich deine Kamera dabei?“, fragte er mich ausweichend.
„Nur die kleine Digikamera, meine Nikon habe ich zu Hause gelassen, ich bin schließlich im Urlaub.“
„Ja, das weiß ich, aber mach mal trotzdem ein paar Bilder vom Kitesurfen. Hier findet doch Ende Juni wieder der Kitesurf World Cup in Westerland statt, da machen wir einen Vorbericht.“
„Warum das denn? Da kannst du dir doch auch die Pressemappe schicken lassen“, maulte ich unmotiviert.
„Sonia“, erwiderte Lars – ganz Chef – ungehalten, „darüber diskutiere ich jetzt nicht mit dir. Mach es einfach. Oder muss ich dich an unser Gespräch erinnern?“ Er stellte die Proseccoflasche zurück in den Korb: „Ich muss dann mal los. Wir sehen uns ja am Donnerstag.“ Er drehte sich um und schob seinen Einkaufswagen in Richtung Kassenbereich. Ich fühlte mich wie bestellt und nicht abgeholt, das war doch jetzt nicht wirklich wahr, oder? In den Hollywood-Filmen, die ich bislang gesehen hatte, wäre diese Szene jetzt ganz anders ausgegangen. Vielleicht hätte es ein paar Irrungen und Wirrungen gegeben, aber auf jeden Fall wären der Mann und die Frau nach so einer zufälligen Begegnung ein Paar geworden, hätten am Ende geheiratet und Kinder bekommen: THE HAPPY END. Genau das will man doch auch, ein glückliches Ende, den Mann oder Partner, den das Schicksal für einen vorherbestimmt, finden, lieben lernen und schließlich heiraten oder doch zumindest eine dauerhafte Beziehung mit ihm aufbauen. Ich griff mir die erstbeste Flasche Sekt und ging ebenfalls zur Kasse. Während ich wartete, ließ ich die
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