Froschkuss (German Edition)
das nicht“, sagte sie schließlich und nickte einer Krankenschwester zu, die einen Wagen auf Rollen mit Blutproben an uns vorbeischob. „Die Geschichte mit Karim“, fuhr ich fort und blickte betreten zu Boden. Warum machte sie es mir auch so schwer?
„Das geht dich gar nichts an“, sagte meine Freundin reserviert. „Ich mische mich ja schließlich auch nicht in deine Liebesgeschichten ein.“
Sie blickte auf eine goldene Armbanduhr – ein Geschenk von Karim? „Ich muss jetzt los“, sagte sie, „ich habe gleich einen Termin. Bis dann!“
Sie ließ mich einfach stehen und fassungslos starrte ich ihr hinterher, bis sie hinter der Eingangstür der Station verschwunden war.
27. Kapitel
Als ich nach Hause kam, war Leon nicht da, ein Glück. Neben dem Herd fand ich einen gelben Zettel:
Schau mir eine Wohnung an. Gruß Leon
Leon war eigentlich ein schöner Name, kurz und prägnant. Jedenfalls besser, als die vielen anderen Modenamen, wie zum Beispiel Kevin oder Jason, das geht gar nicht, finde ich. Blöd sind auch mehrsilbige Namen, denn irgendwann wird eine Johanna immer Hanna genannt und ein Leonard Leo. Ich überlegte, welchen Namen ich meinem ersten Kind geben würde. Marie für ein Mädchen gefiel mir eigentlich gut, aber das war zurzeit der absolute Lieblingsname von ganz vielen Eltern, und ich wollte nicht, dass meine Tochter den gleichen Namen hatte wie womöglich noch drei andere Mädchen in ihrer Kindergartengruppe. Luisa war auch ein schöner Name und passte zu dem Baby von Betty. Sie war wirklich entzückend. Dass mein Mitbewohner der Vater war, hätte ich mir noch nicht einmal im Traum ausmalen können. Wie konnte ein Mann auf die Idee kommen, als Samenspender zu fungieren? Vor einiger Zeit hatte ich mir einen Film über einen Typen angeguckt, der seinen Samen in jungen Jahren gespendet hatte, um sich damit Geld zu verdienen. Mit 42 benahm er sich immer noch wie ein unreifer Teenager, war unzuverlässig und ständig pleite. Als seine Freundin schwanger wurde, erfuhr er, dass er der Vater von 533 Kindern war. Das muss man sich einmal vorstellen! In dem Film wollten 142 seiner Kinder eine Sammelklage einreichen, um die Identität ihres Erzeugers zu erfahren. Der Mann machte sich auf die Suche nach seinen Kindern und begann, sich in seine vielen Sprösslinge zu verlieben. Wer glaubt, dass es sich bei diesem Film um ein typisches Hollywood-Märchen handelt, liegt vollkommen falsch. Der Biologe Bertold Wiesner, der 1972 starb, betrieb zwischen 1940 und 1960 eine Fruchtbarkeitsklinik in London und soll, da er vor allem selbst Samen spendete, der Vater von 600 Kindern sein. Es gab offensichtlich Männer, die das biologische Grundbedürfnis, möglichst viele Nachkommen zu zeugen, auf die Spitze treiben.
Ich öffnete den Kühlschrank und holte mir die Flasche mit Orangensaft heraus. Dabei fiel mir auf, dass die Abstellflächen total schmutzig waren. Ich stöhnte: Mein Mitbewohner könnte auch hin und wieder einmal das Wischtuch in die Hand nehmen. Dabei würde er sich auch keine Zacke aus der Krone brechen. Ich beschloss, sofort ans Werk zu gehen und holte den Käse, die Milchtüte, den Ketchup, zwei Marmeladengläser und die Flasche Weißwein heraus und stellte alles auf den Küchentisch. Ich nahm einen frischen Schwamm in die Hand und besprühte den gesamten Innenraum mit einem Bioreinigungsmittel, das intensiv nach Zitrone roch. Ich schrubbte die Glasflächen, die innere Seite der Tür und holte die Gemüsefächer heraus, in die ich in der Spüle heißes Wasser einlaufen ließ. Dann nahm ich mir die kleinen Fächen vor, in die man Flaschen und Gläser stellen konnte. Was für ein Dreck überall, das war wirklich eklig. Erst als auch der letzte klebrige Fleck entfernt war, beendete ich meine Putzaktion und stellte wieder alles zurück in den Kühlschrank. Da ich gerade schon dabei war, fegte ich den Küchenboden und wischte feucht nach. Als ich damit fertigt war, fühlte ich mich schon besser. Putzen und Aufräumen hat für mich etwas Beruhigendes und Befreiendes. Wenn in meinem Inneren schon das totale Chaos tobt, muss wenigstens um mich herum eine klare Linie herrschen. In dieser Hinsicht war Leon das genaue Gegenteil von mir. In meinem Arbeitszimmer, in dem er hauste, sah es gruselig aus: Auf dem Schreibtisch stapelte sich Papier und alte Fachzeitschriften, überall lagen Klamotten, Kartons, Tüten und Krimskrams herum. Er hatte, seit er bei mir wohnte, offensichtlich kein einziges Mal
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