Frozen Time (German Edition)
fühle ich mich wieder wie sein Fall, sein Forschungsprojekt.
»Ich bin erschöpft, ich möchte mich hinlegen«, sage ich, sobald wir den Flur der Intensivstation betreten haben.
»In Ordnung, dann bis später.« Mit langen Schritten geht Milo vor und verschwindet hinter der Tür des Medizimmers.
Tatsächlich bin ich müde von all den Eindrücken und verwirrenden Gedanken, die mir durch den Kopf schwirren. Langsam gehe ich an den anderen Patientenzimmern vorbei; durch die Scheiben sehe ich, dass sie auf ihren Betten liegen und Holovision schauen oder mit ihren SmartSets arbeiten. Ich komme an einer Glasscheibe vorbei, hinter der niemand liegt. Das Bett ist frisch bezogen, die Monitore sind dunkel. Roses Zimmer, denke ich.
Das mulmige Gefühl breitet sich weiter in mir aus, wird so stark, dass ich es nicht mehr zurückdrängen kann. Einen Moment lang starre ich durch die Scheibe in den leeren Raum, schließlich schleppe ich mich in mein eigenes Zimmer, reiße mir die Perücke vom Kopf und lasse mich auf mein Bett fallen.
Ich schlafe fast sofort ein.
Und dann habe ich diesen Traum.
KAPITEL 5
Das Gesicht des Jungen ist bleich. Viel blasser, als ich es jemals zuvor in einer Vision gesehen habe. Was fehlt ihm? Ist er krank?
Er hat Angst. Große Angst.
Ich habe auch Angst. Um ihn.
»Tu es«, sage ich zu ihm. »Es ist deine einzige Hoffnung.«
Der Junge greift nach meinen Händen, hält sie fest umklammert.
»Aber ich kann dich doch nicht alleinlassen«, sagt er. Liebevoll streicht er mit seinen Fingern über meine Wange. Erst als ich den Tropfen auf seiner Hand sehe, bemerke ich, dass ich weine.
»Ich komme schon zurecht«, erwidere ich. »Und ohne mich wärst du gar nicht erst in dieser Lage.«
»Jetzt mach dir bitte keine Vorwürfe.« Er lächelt mich traurig an. »Es ist halt passiert. Schicksal. Dich hätte es genauso treffen können.«
»Hat es aber nicht.« Ich versuche, die Tränen herunterzuschlucken. Vergeblich. Sie laufen immer weiter über meine Wangen.
»Na komm, Tessa, nicht weinen. Du hast doch gehört, was siegesagt haben. Sie werden die Zeit einfach einfrieren. Für mich. Für uns.«
Wieder höre ich mich schnaufen, es klingt erstickt.
»Du bist doch der Einzige, den ich habe.«
»Ich bin immer für dich da«, sagt er, und dann küsst er mich, ganz sanft berühren seine Lippen meinen Mund, ich schmecke das Salz meiner Tränen, spüre die Wärme seiner Haut.
Es ist unser erster Kuss und unser letzter.
»Nimm das«, sage ich. Ich spüre winzige Stiche in meiner Hand, als sich meine Hand gegen seine presst.
»Das geht nicht! Es gehört dir.«
»Nein«, sage ich. Ich will, dass du es nimmst.«
Er nickt, drückt meine Hand, winzige Stiche.
Dann dreht er sich um.
Und geht weg von mir.
»Finn!«, rufe ich. Aber er schaut nicht zurück.
Finn. Finn. Finn.
Der Name hämmert in meinem Kopf, als ich aus dem Traum erwache. Adrenalin schießt durch meinen Körper, ich setze mich senkrecht im Bett auf. Sofort pochen die Schmerzen gegen meine Schläfen, meine Hände umschließen meinen Kopf, pressen gegen den Knochen, um den Schmerz zu vertreiben und die Erinnerung festzuhalten.
Was habe ich getan?
Ich ringe nach Luft, das Atmen fällt mir schwer, als das Gefühl der überwältigenden Schuld mich beinahe zu ersticken droht.
Finn, was habe ich dir bloß angetan?
Ich weiß es wieder. Ich erinnere mich an den Namen des Jungen,der der wichtigste Mensch in meinem Leben ist. Wir kennen uns schon immer. Wir sind füreinander bestimmt. Aber Finn ist krank. Todkrank. Und das ist meine Schuld.
Warum, warum, warum?
Noch fester pressen sich meine Hände gegen meine Schläfen, als könnten sie die Erinnerung an meine Schuld herausdrücken.
Was ist passiert?
Doch da ist wieder nur Nebel. Will ich einen Erinnerungsfetzen packen, verschwindet er im wabernden, weißen Nichts. Langsam lasse ich die Hände sinken, zwinge mich zur kontrollierten, ruhigen Atmung. Ein. Aus. Ein. Aus.
Mir wird bewusst, wo ich mich befinde. Sie können mich sehen, denke ich. Sie können alles sehen. Ich verschränke meine Hände in meinem Schoß und schließe die Augen.
Etwas aus diesem Traum versucht, an die Oberfläche zu kommen. Ich dränge meine Schuldgefühle und meine Angst zur Seite und konzentriere mich auf diesen einen Gedanken.
Sie werden die Zeit einfrieren. Für mich. Für uns.
Das hat Finn zu mir gesagt.
Seine Worte erinnern mich an etwas.
Die Zeit einfrieren …
, überlege ich.
Projekt Frozen
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